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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zurück.
    »Ich komme«, rief ich zu Gertrud hinauf.
     
    Nach drei weiteren Stunden hielt Gertrud die Kutsche an. »Für heute ist’s genug«, sagte sie. »Castor und Pollux brauchen eine Pause. Ich kann auf der Strecke die Pferde nicht wechseln, dazu fehlt mir das Geld. Außerdem gibt’s hier einen Gasthof mit sauberen Ställen,
Jausender Wilddieb
heißt er. Ich mag den Wirt. Vielleicht war er selbst mal Wilddieb. Jedenfalls tischt er den deftigsten Braten weit und breit auf. Werden billig unterkommen. Die Herrschaften zahlen natürlich mehr. Denen macht es nichts, wenn sie ein bisschen geschröpft werden.«
    Wir stiegen ab.
    Ich öffnete die Tür der Kutsche und klappte die kleine Treppe herunter, damit Thérèse besser aussteigen konnte. »Endlich frische Luft, da drin war’s furchtbar stickig!«, rief sie. Dann setzte sie Schnapp ein paar Schritte entfernt auf die Erde, damit er sein Geschäft machen konnte. »Er war sehr brav, ich kümmer mich noch ein bisschen um ihn.«
    Das war mir nur recht, denn so hatte ich Zeit, Gertrud beim Ausschirren zu helfen und Aaron und die Rösser zu versorgen. Ich führte sie zur Tränke und hängte ihnen Futtersäcke mit Dinkel um.
    »Es wäre schön, Hochwürdiger, wenn Eure Fürsorge sich nicht nur auf Pferde und junge Dinger beschränken würde. Es hätte keineswegs geschadet, auch einer Dame von Stand aus der Kutsche zu helfen.« Vor mir stand eine dürre, dünnlippige Person, deren Gesichtsausdruck der fleischgewordene Vorwurf war. Ich vermutete, sie war des Dicken Gemahlin, mit der Thérèse eine Sitzbank teilen musste.
    »Gelobt sei Jesus Christus«, entgegnete ich.
    »Äh, ja«, meinte sie verwirrt.
    »Eure Antwort hätte ›In Ewigkeit, Amen‹ lauten müssen«, sagte ich streng.
    »Ja, nun ja.«
    »Ich will Eure Worte nicht als Mangel an rechtem Glauben auslegen«, fuhr ich fort, »aber Ihr tätet gut daran, vor dem Schlafengehen drei freudenreiche Rosenkränze zu beten.« Da ein Rosenkranz aus fünfzehn Gebetsabschnitten besteht, von denen jeder ein Vaterunser, zehn Ave-Maria und nicht zuletzt ein Ehre-sei-dem-Vater beinhaltet, dazu einen weiteren Satz, der ein Ereignis aus dem Leben Jesu und Mariä schildert, wusste ich, dass ich damit die Geduld der Dame auf eine harte Probe stellen würde.
    Jesus, verzeih mir, dachte ich im Stillen, ich habe deinen Namen schon zum zweiten Mal benutzt, um jemanden in die Schranken zu weisen, und ich empfinde Schadenfreude dabei. Vielleicht gewöhne ich mich eines Tages sogar an die Rolle des Franziskanermönchs.
    Ich ließ die Frau stehen, nahm die Gepäckstücke entgegen, die Gertrud mir vom Wagen herunterreichte, und gab sie an Obergsell, den Wirt, weiter, der sie ins Haus trug. Dabei war uns ihr feister Ehemann im Weg. Er hatte ein kostbares weinrotes Wams an, das in tiefe Röhrenfalten gelegt war und über weite, bauschige Ärmel verfügte. Ohne Zweifel ein sehr geschmackvolles Kleidungsstück, nur war bei diesem Mann Hopfen und Malz verloren. Er stand breitbeinig da, die Arme in die Seiten gestemmt, und dachte nicht im Entferntesten daran, mit anzufassen. Nicht einmal bei seiner eigenen Habe. Stattdessen fragte er mit öliger Stimme: »Ich hoffe, Wirt, du bist in der Lage, ein üppiges Mahl aufzutragen. Ich habe Hunger.«
    Obergsell brummte irgendetwas, das als Bejahung verstanden werden konnte, und schob sich an ihm vorbei, während ich mit dem Gedanken spielte, den Fettwanst daran zu erinnern, dass Ostern in diesem Jahr auf den siebten April fiele, wir mithin noch Fastenzeit hätten und es sich für einen gläubigen Christenmenschen gezieme, statt Wein Wasser zu trinken und statt Fleisch Fisch zu essen, aber ich sagte nichts. Ich wollte den Bogen nicht überspannen.
    Als abgeladen war, kletterte Gertrud mit einiger Mühe vom Kutschendach herunter, wobei sie meine helfende Hand ausschlug. »So weit ist es noch nicht«, krächzte sie. »Auch wenn’s von Mal zu Mal schwerer wird.«
    »Ich hätte dir die Arbeit abnehmen können.«
    »Schon gut. Wenn’s dir nichts ausmacht, kümmer dich lieber noch mal um die Pferde. Bring sie in den Stall hinter dem Gasthaus. Und achte darauf, dass Castor und Pollux sich mit Aaron vertragen. Stell sie nicht zu eng zusammen.«
    »Mach ich.« Ich tat, wie mir geheißen, und traf nach getaner Arbeit die ganze Reisegruppe in der Gaststube an. Doch man saß nicht an einem gemeinsamen Tisch, denn der Fettwanst und seine Frau hatten auf gesonderte Plätze bestanden. Ich vermied ihre Gesellschaft

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