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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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späteren Nachmittag kam Gudrun aufs Feld. Sie richtete aus, wir sollten ins Haus kommen, das Essen stünde bereit. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Bald darauf saßen wir in der großen Stube, wo alles so weit wie möglich aufgeräumt und hergerichtet worden war. Der Bauer sprach ein Tischgebet und hieß uns anfangen. In der Mitte stand eine große hölzerne Schüssel mit Suppe, von der jeder mit seinem Löffel aß.
    Es war eine sehr dünne Suppe mit nicht erkennbarem Inhalt. Sie schmeckte fad und wässrig. Trotzdem lobte ich sie. Die Bäuerin sah mich an und sagte: »Spar dir die Höflichkeit. Ich weiß, dass die Suppe wie Waschwasser schmeckt, aber die verfluchten Kriegsknechte haben alles Essbare mitgehen lassen. Die Vorratskammern sind leer. Den Speck, den Schinken und drei Säcke mit Mehl haben sie sich unter den Nagel gerissen. Nicht einmal Brot backen konnte ich. Und die Muttersau mit den Ferkeln im Stall haben sie auch gestohlen.«
    »Und das Weinfass, das haben sie auch noch leergesoffen«, sagte der Bauer grimmig. »Ich hab’s in der Tenne gefunden.«
    »Ja, es waren gottlose Gesellen«, bestätigte ich und kam mir sehr heuchlerisch vor, denn auch ich hatte beim Trinken mitgehalten. Um vom Weinfass abzulenken, sagte ich: »Wie werdet Ihr nun durchs Jahr kommen, wenn alle Vorräte gestohlen sind?«
    »Wie immer. Wir werden den Gürtel enger schnallen und auf Gott und eine gute Ernte vertrauen. Im Übrigen kannst du mich duzen. Vielleicht bist du was Besseres, aber hier bist du Knecht, und wir einfachen Leute duzen uns. Das gilt auch für deine Gefährtin, der es, wie ich sehe, überhaupt nicht zu schmecken scheint.«
    »Sie hat ihre Tage!«, krähte Pipps.
    Schweigen am Tisch.
    »Jedenfalls ist es sehr anständig von euch, dass ihr das wenige, das ihr habt, mit uns teilt«, sagte ich, bemüht, die Situation zu retten. »Habt ihr morgen wieder Arbeit für uns?«
    »Wir werden sehen«, sagte der Bauer.
    »Danke. Dürfen wir in der Tenne übernachten?«
    »Ja«, antwortete die Bäuerin, »aber nur deine Gefährtin, du selbst musst im Freien schlafen. Ich will keinen Ärger mit der Kirche.«
    Wohl oder übel willigte ich ein.
    Bald darauf gingen wir schlafen.
     
    Mitten in der Nacht wachte ich auf. Das klägliche Fiepen von Schnapp hatte mich geweckt. Der Kleine fror genauso wie ich. Wir lagen in einer Ecke zwischen Haupthaus und Tenne, wo es sehr zugig war. Ich stand auf und vertrat mir die Beine, doch es half wenig. Das Weinfässchen, dessen Inhalt uns so angenehm gewärmt hatte, kam mir in den Sinn. Dort, wo es gelegen hatte, schlief Odilie. Eine Zeitlang zögerte ich, doch dann schlüpfte ich rasch in den hallenartigen Raum. Es duftete nach Heu und Stroh. Im fahlen Licht des Mondes sah ich, dass die Trennwand, die wir in der vergangenen Nacht errichtet hatten, noch stand. Wenn ich nicht auf Odilies Seite schlief, wäre der Schicklichkeit Genüge getan, sagte ich mir. Außerdem würde niemand erfahren, dass ich gegen das Gebot der Bäuerin verstieß.
    Leise schloss ich das Tor hinter mir und stand in völliger Dunkelheit da. Ich machte ein paar Schritte und ließ mich dann aufatmend nieder – unglücklicherweise genau auf Odilie.
    Ein kleiner, erschreckter Schrei entfuhr ihr.
    »Um Gottes willen«, flüsterte ich, »sei nicht so laut. Ich bin es, Lukas. Draußen ist es einfach zu kalt. Ich musste hereinkommen.«
    Sie antwortete nicht. Immerhin merkte ich, wie sie ein wenig zur Seite rückte. Ich streckte mich aus und genoss das angewärmte Heu. »Hoffentlich hat dich niemand gehört«, sagte ich.
    »Das ist mir einerlei. Ich bin hungrig.«
    Meine Gefühle, eben noch voller Dankbarkeit für den Schutz vor der Kälte, schlugen um in Ärger. »Hör mal, Odilie«, sagte ich, »falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Du bist hier nicht im Heidelberger Schloss. Du kannst hier bis zum Sankt Nimmerleinstag warten, bis dir die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.«
    »Das weiß ich.«
    »Dann ist es ja gut.«
    »Tu etwas, damit dieser elende Zustand aufhört. Bring mich sofort nach Hause zu meiner Familie.«
    »Ach, und wie soll das bitte schön mitten in der Nacht geschehen? Soll ich dich auf meinen Schultern tragen? Deine zarten Füßchen sind ja nicht einmal in der Lage, auf dem Feld hin und her zu wandeln, um beim Steinesammeln zu helfen.«
    »Das war etwas anderes.«
    »Und wieso, wenn man fragen darf?«
    »Weil es Dinge gibt, die man als Prinzessin nicht tun darf. Dazu gehört niedere

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