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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Castor und Pollux, meinen treuen Aaron hinten angeleint. Der Anblick war vertraut und doch schon fremd. Mein Herz wurde schwer.
    Dann spürte ich einen schmerzhaften Tritt ins Gesäß. Pirmin stand hinter mir. »Mach, dass du wegkommst mit deinem Flittchen«, zischte er. »Am liebsten würde ich euch beide am nächsten Baum aufknüpfen, aber dem hohen Herrn wäre es nicht genehm. Also, packt euch schon!«
    Ich nahm Odilie bei der Hand, und wir liefen, so schnell wir konnten, hinüber in die Felder.

Kapitel 5
    Kraichgau, Sinsheim,
28 . März bis 11 . April 1504
    O dilie und ich standen im Schatten einer Wallhecke und beobachteten, wie die davonmarschierenden Landsknechte kleiner und kleiner wurden. Als auch der letzte Soldat hinter einer Hügelkuppe verschwunden war, sagte Odilie: »Ich bin hungrig.«
    Sie sprach in einem Tonfall, der mir nicht gefiel. Der Tonfall sagte: Besorge auf der Stelle etwas zu essen und bereite mir ein Mahl.
    Deshalb antwortete ich nur: »Ich auch.«
    »Ich sagte, ich bin hungrig.« Sie war einen halben Kopf kleiner als ich, aber irgendwie gelang es ihr, mich von oben herab anzusehen.
    »Ich habe es gehört, Odilie. Pass auf, ich möchte etwas klarstellen: Ich bin nicht dein Diener. Wenn du etwas von mir willst, drück dich klar aus und füge ruhig das Wörtchen ›bitte‹ hinzu, dann werden wir uns gut vertragen.«
    Ihr herablassender Blick änderte sich. Er nahm einen Ausdruck von Erstaunen und Ungläubigkeit an. Zum ersten Mal sah ich wirklich, wie schön sie war. Sie hatte eine Haut, so rein wie Rahm, eine kleine, gerade Nase, rote, sanft geschwungene Lippen und sehr ungewöhnliche Augen. Sie waren türkis wie ein Bergsee – und genauso kalt.
    »Nun gut«, sagte ich. »Gehen wir zurück zum Bauernhof. Vielleicht finden wir dort etwas Essbares.« Ich reichte ihr die Hand, aber sie nahm sie nicht.
    »Wie du willst.« Schulterzuckend machte ich mich auf den Weg. Immerhin folgte sie mir, wenn auch in einigem Abstand. Da auch ich meinen Stolz hatte, nahm ich mir vor, ihr von nun an nie wieder meine helfende Hand anzubieten, jedenfalls so lange nicht, bis sie darum bat. Dieser Gedanke verschaffte mir eine gewisse Genugtuung. Doch gleich darauf hatte ich keine Gelegenheit mehr, mich mit derlei Kleinigkeiten zu beschäftigen, denn ich stand im großen Wohnraum des Bauern und hielt den Atem an ob der Verwüstung, die Talacker mit seinen Mannen hinterlassen hatte. Nichts befand sich mehr an seinem Platz, Regale waren niedergerissen, Truhen aufgebrochen und umgeworfen, Vorratskisten zerschlagen. In einer Ecke lag ein entzweigegangenes Spinnrad. Der Anblick erinnerte mich an das Erdbeben in Basel. Nur dass hier nicht die Natur, sondern der Mensch die Verwüstung angerichtet hatte.
    »Was habt Ihr hier zu suchen?«
    In der Tür stand der Bauer mit seiner Familie. Ich hatte ihn nicht kommen hören. »Verzeiht, dass wir hier so eigenmächtig eingedrungen sind«, antwortete ich hastig, »aber meine, äh, Schwester und ich verspürten Hunger, und da haben wir uns erlaubt …«
    »Redet Ihr immer so geschwollen? Seid Ihr ein Wanderprediger oder was?«
    »Nun ja, wenn Ihr so wollt. Wir, äh, sind auf dem Weg nach Heidelberg.«
    Die Frau des Bauern trat vor und musterte uns von oben bis unten. Dann sagte sie zu mir: »Ich glaube dir kein Wort. Du bist kein Wanderprediger, denn du scheinst selten an der frischen Luft zu sein. Dein Gesicht ist blass wie ein Käse. Und die Kleine neben dir ist nicht deine Schwester, weil ihr euch überhaupt nicht ähnlich seht. Die hat noch nie in ihrem Leben gearbeitet, das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.«
    Odilie reckte das Kinn vor. »Vor dir steht Odilie von der Pfalz, die Tochter Philipps des Aufrichtigen, deines Landesherrn. Ich bin hungrig.«
    Die Bauersfrau stutzte für einen Augenblick, dann lachte sie schrill. »Und ich bin Bianca Maria, die Frau von König Maximilian. Und nun scher dich raus, du hochnäsiges Miststück!«
    »Gemach, gemach.« Ich bemühte mich, meiner Stimme einen besonders liebenswürdigen Klang zu geben. »Ihr habt sicher gesehen, Frau Bäuerin, dass im Tross der Landsknechte zwei Kutschen davonfuhren. Nun, darin saßen wir, bevor wir überfallen wurden. Man hat uns alles genommen, was wir besaßen. Nur das, was wir auf dem Leib trugen, ließ man uns. Wir sind froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.«
    Meine Worte schienen die Frau zu besänftigen. Sie sagte: »Dann ist es euch ähnlich ergangen wie uns. Es ist schon das dritte

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