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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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daran ein Segen hinge! Wenn du willst, nimm seine Hose und sein Hemd. Kannst auf der Straße ja nicht immer als Mönch rumlaufen, wenn du gar keiner bist.«
    Nach dieser langen Rede widmete er sich wieder der Suppe. Pipps ging mit mir in die Gesindekammer, die er sich mit den älteren Geschwistern teilte, und gab mir Mattis Kleidungsstücke. Ich zog sie an und stellte fest, dass sie leidlich passten. Hosenbeine und Ärmel waren etwas zu kurz, aber das störte mich nicht weiter. Meine Franziskanerkutte, in deren Taschen ich Schnapp herumgetragen hatte, rollte ich zusammen und klemmte sie mir unter den Arm. Sie bestand aus gutem Tuch und war zu schade, um fortgeworfen zu werden.
    »Kannst meine Steinesammelkiepe haben«, sagte Pipps. »Für deine Sachen, die Kutte und alles.«
    »Das ist lieb von dir.« Dankbar stopfte ich meine Habe in die Kiepe und setzte meinen kleinen Hund obendrauf. »Leb wohl, Pipps.«
    »Odilie ist in der Tenne.«
    »Danke.« Ich fuhr ihm mit der Hand durch den blonden Schopf und ging hinaus zur Tenne. Ich hatte eine gehörige Wut im Bauch und wollte Odilie alles Mögliche an den Kopf werfen, doch als ich sie sah, erstarben mir die Worte.
    Odilie weinte.
    Ich hatte sie noch nie weinen sehen, immer hatte sie die Hochmütige gespielt, doch nun schluchzte sie wie ein kleines Kind.
    »Was fehlt dir?«, fragte ich bestürzt.
    Odilie wandte den Kopf ab und weinte weiter. Ihre schmalen Schultern zuckten. Behutsam streckte ich die Hand aus und strich ihr über den Arm. »Willst du es mir nicht sagen?«
    Sie zog ihren Arm zurück und schüttelte wild den Kopf.
    Zum zweiten Mal fühlte ich mich zurückgestoßen. Ich hatte es nur gut gemeint. »Die Bäuerin hat gesagt, du hättest den ganzen Tag keine Hand im Haushalt gerührt. Sie hat dir deshalb die Tür gewiesen. Ich hätte bleiben können, aber ich komme mit dir. Glaube nicht, dass ich das gern mache.«
    »Bleib doch, wo der Pfeffer wächst.«
    »Das werde ich nicht tun. Ich werde dir auch nicht den Hintern versohlen, obwohl du es wahrlich verdient hättest. Ich werde jetzt hinausgehen und hoffen, dass die Nacht nicht allzu ungemütlich wird.« Ich verließ die Scheune und marschierte in die anbrechende Dunkelheit hinein. Ich wandte mich kein einziges Mal um und hielt mich nordwestlich, denn in dieser Richtung ging es nach Heidelberg. Falls Odilie mir folgen wollte, war ich auf dem richtigen Weg, wollte sie es nicht, konnte ich meine Marschroute immer noch ändern – in Richtung Erfurt.
    Ich hatte schon zwei- oder dreihundert Schritte zurückgelegt, als jemand hinter mir meinen Namen rief. Es war Odilie. Sie hatte also doch nicht allein zurückbleiben wollen. Ich musste lächeln. Ich hatte einen kleinen Sieg davongetragen.
    Als sie neben mir stand, bemühte ich mich, möglichst gleichgültig zu klingen. »Wir werden die Nacht durchmarschieren«, sagte ich. »Das ist die beste Gewähr dafür, dass uns nicht kalt wird.«
    »Ja, wenn du meinst.«
    Schön, dass du ausnahmsweise mal mit etwas einverstanden bist, wollte ich sagen. Aber ich verkniff mir die Häme. Stattdessen sagte ich: »Dann los, ich gehe voran.«
    Wir waren vielleicht eine Meile gegangen, als das schwache Licht des abnehmenden Mondes ganz verschwand. Dunkle Wolken hatten sich vor die silberne Sichel geschoben. Ich wandte mich zu Odilie um und sagte: »Man sieht kaum die Hand vor Augen, aber wenn wir langsam und vorsichtig in der Wegmitte gehen, kommen wir vielleicht noch vorwärts.«
    Sie antwortete nicht, aber ich nahm ihr Schweigen als Einverständnis und schritt weiter. Ein paar Atemzüge später hörte ich hinter mir einen erstickten Laut.
    »Odilie?«, fragte ich erschrocken. »Odilie?«
    Sie war gestolpert und lag der Länge nach im Graben. Jedenfalls vermutete ich das, denn sehen konnte ich sie nicht. »Ist dir etwas passiert?«
    »Nein.«
    »Gott sei Dank.« Ich ließ mich vorsichtig neben ihr nieder und verschnaufte erst einmal. »Vielleicht sollten wir doch nicht weitergehen«, sagte ich nach einer Weile.
    »Ja, vielleicht.«
    Ich hörte, wie sie sich aufsetzte und die Arme um die Schultern schlang, um sich zu wärmen. Ich holte Schnapp aus der Weidenkiepe, streichelte ihn und umfasste ihn mit den Händen. Sein Fell war wie ein kleiner, lebender Muff. »Willst du dich auch wärmen?«, fragte ich und legte Schnapp in Odilies Hände. Doch sie gab ihn mir nach wenigen Augenblicken zurück. »Schnapp braucht selbst Wärme«, sagte sie. »Er ist ganz ausgekühlt.«
    »Wie du

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