Der Medicus von Heidelberg
Arbeit. Sie ist schändlich. Wenn mein zukünftiger Bräutigam davon erführe, würde er mich nicht mehr zur Gemahlin nehmen.«
»Wer ist denn dieser weltfremde Bräutigam?«
Odilies Stimme nahm wieder den hochfahrenden Ton an: »Es ist Christoph, der Sohn von Bogislaw X., dem Herzog von Pommern.«
»Aha, sicher ein uralter, zahnloser Tattergreis, den deine Eltern für dich ausgesucht haben.«
»Nein, Christoph soll noch jung sein und auch sehr gutaussehend. Er wird in Adelskreisen ›Junker Christoph‹ genannt.«
»Du kennst ihn gar nicht?«
»Nein, noch nicht.«
»Gut, du kennst ihn nicht, aber du weißt schon genau, wie er reagieren würde, wenn er hörte, du hättest auf einem Feld Steine gesammelt. Das ist doch lächerlich.«
Ein Schlag traf mich an der Schläfe. Es sollte wohl eine Maulschelle sein. Der Schlag war nicht besonders hart, aber er verletzte mich sehr. »Mach das nie wieder«, sagte ich zornbebend.
»Pah!«
Ich drehte mich auf die andere Seite, griff in meine Tasche, um Schnapp zu streicheln und mich dadurch zu beruhigen, doch der Ärger saß tief.
Bis zum Morgen fand ich keinen Schlaf.
Noch bevor das erste Dämmerlicht durch die Ritzen im Dachgebälk fiel, stand ich auf und verließ die Tenne. Ich wollte in jedem Fall vermeiden, dass mich jemand zusammen mit Odilie sah.
In der großen Stube saßen schon alle am Tisch. Es gab wie am Abend zuvor Wassersuppe. Diesmal jedoch herrlich frisches, duftendes Brot dazu. Die Bäuerin hatte sich, wie sie erzählte, noch am gestrigen Tag auf den Weg zu der zwei Meilen entfernten Windmühle gemacht, wo sie von der Frau des Müllermeisters ein Säckchen Mehl ausgeborgt hatte. Odilie erschien, als wir fast fertig mit der Mahlzeit waren, und musste sich mit dem Rest in der Schüssel begnügen.
Der Bauer wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und sagte zu mir: »Du kannst mit Odilie und den Kindern wieder hinaus aufs Feld. Wenn wir so viele Gulden wie Steine hätten, wären wir reiche Leute. Also, an die Arbeit.«
Seine Frau widersprach. »Odilie kann hierbleiben und mir bei der Hausarbeit helfen. Wenn man das hat, was sie hat, sollte man sich nicht ständig bücken müssen.«
So ging ich mit den Kindern allein aufs Feld. Schnapp ließ ich frei herumlaufen, um ihn von Zeit zu Zeit zu rufen. Mit Freude stellte ich fest, dass er seinen Namen schon zu kennen schien – auch wenn er nicht jedes Mal kam.
Die Arbeit fand ich am zweiten Tag weniger anstrengend als am ersten, obwohl mein Rücken wieder höllisch schmerzte. Die Steinmauer wuchs langsam, aber stetig in die Höhe. »Gottlob sind wir mit dem Feld bald fertig«, sagte ich gegen Mittag zu Pipps.
»Dann kommen die anderen dran«, meinte er.
»Willst du damit sagen, es müssen noch mehr Felder von Steinen befreit werden?«, fragte ich entgeistert.
Pipps nickte mit wichtiger Miene. »Ja, sieben Felder sind’s zusammen.«
»Das kann ja heiter werden. Euch Kindern scheint das Sammeln überhaupt nichts auszumachen.«
»Nö, tut’s nicht. Du bückst dich ja auch falsch. Darfst keinen runden Rücken machen, musst mit den Beinen einknicken, dann geht’s besser. Hat Vater gesagt.«
In der Folgezeit hielt ich mich an Pipps’ Rat, und das Sammeln fiel mir tatsächlich leichter. Am Nachmittag erschien Gudrun wieder, um uns zum Essen zu holen. Gemeinsam kehrten wir zum Haus zurück, traten uns die Erdklumpen von den Schuhen und gingen in die große Stube. Die Suppe stand dampfend bereit. Die Familie hatte auf uns gewartet.
Aber wo war Odilie?
Als hätte die Bäuerin meine Gedanken erraten, sagte sie: »Odilie wird nicht mit uns essen. Sie hat sich geweigert, auch nur einen Handschlag zu tun. So eine kann ich hier nicht brauchen. Ich habe ihr gesagt, sie soll gehen. Du, Lukas, kannst bleiben und mit uns essen. Scheinst ein fleißiger Bursche zu sein.«
Als ich diese Worte hörte, schmeckte mir die Suppe nicht mehr. Odilie, diese hoffärtige Person! Doch ich hatte mein Wort gegeben, und wenn Odilie nicht bleiben durfte, musste auch ich gehen. Ich stand vom Tisch auf und sagte: »Nehmt mir’s nicht übel, aber in diesem Fall muss ich euch verlassen. Ich halte zu meiner Gefährtin.«
»Gefährtin? Die ist wohl eher ein Klotz am Bein. Aber du musst ja wissen, was du tust«, entgegnete die Bäuerin, und der Bauer sagte: »Schade, ich hätte dich gern behalten. Du hättest Mattis, meinen Knecht, gut ersetzen können. Der verrückte Hund hat sich den Bundschuhleuten angeschlossen, als ob
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