Der Medicus von Heidelberg
auf den Bettrand. »Aber ein sorgenvolles Gesicht hätte weder dir noch mir genützt.«
»Was hattest du vor?«
»Ich wollte nach Sinsheim gehen und dort eine Apotheke suchen. Ich hoffte, gegen gute Worte einige Pillen oder ein Elixier für dich zu erhalten. Jetzt, wo sich alles gefügt hat, kommt mir mein Unterfangen ziemlich töricht vor, denn wahrscheinlich hätte ich nichts bekommen. Apotheker lassen sich ihre Arzneien gewöhnlich teuer bezahlen.«
»Das wusste ich nicht.«
Du weißt so manches nicht, kleine Odilie, dachte ich. Von der Härte des Lebens hast du keine Vorstellung, doch allmählich scheinst du dazuzulernen. Laut sagte ich: »Es war der pure Zufall, dass mein Weg mich in die Zwingergasse führte, und darüber hinaus das reine Glück, dass die Meisterin gerade in ihrem Bauerngarten arbeitete. Ich fragte sie, ob es in der Stadt eine Apotheke gebe und wo diese sei, und sie antwortete: ›Hier.‹«
»Hier? Wie meinte sie das?« Odilie streichelte Schnapp, der die ganze Zeit den Kopf schief gehalten hatte, als hörte er genau zu.
»Das fragte ich mich auch, aber sie fuhr fort: ›Mein Garten ist die Apotheke. Was der Apotheker braucht, findet er hier. Was er herstellt, kann ich ebenfalls herstellen. Der Herrgott hat gegen jede Krankheit auf Erden ein Kräutlein wachsen lassen, wie schon die heilige Hildegard von Bingen wusste. Man muss es nur kennen. Kennst du diese Pflanze?‹
Als ich nicht sicher war, was sie in der Hand hielt, belehrte sie mich: ›Das ist ein Rosmarinzweig. Rosmarin schafft bei Gliederreißen Abhilfe.‹
Ich nickte höflich und wollte ihr deine Beschwerden schildern, aber ich kam nicht dazu, denn sie redete in einem fort, während sie mich überall herumführte. Sie erklärte mir, was wogegen oder wofür gewachsen sei. Die Mariendistel bekämpfe Gallen- und Leberleiden, der Kalmus wirke Blähungen und Appetitlosigkeit entgegen, der Löwenzahn, der auch Seichkraut genannt werde, treibe den Harn aus, der Giersch helfe dem Gichtgeplagten, der Fingerhut komme bei Herzbeschwerden zum Einsatz, der Spitzwegerich gebe die treffliche Grundlage eines Hustensafts ab und so weiter und so weiter. Als sie eine kurze Pause machte, glaubte ich, mein Anliegen vortragen zu können, doch ich sah mich getäuscht. Denn nun sprach sie davon, dass viele Pflanzen auf ähnliche Weise bei ähnlichen Krankheiten wirkten, etwa der Huflattich, der sich ebenso gegen Husten und Halsweh bewährt habe wie die Hagebutten der Heckenrose oder die Blüten der Kamille.
Auch auf die Gefahr hin, unhöflich zu sein, unterbrach ich schließlich ihren Redeschwall und rief dazwischen: ›Ich brauche etwas gegen Unterleibsbeschwerden!‹
›Gegen Unterleibsbeschwerden?‹ Sie blickte erstaunt und tadelnd zugleich: ›Warum sagst du das erst jetzt? Wie lange hast du die Schmerzen schon?‹
›Es geht nicht um mich‹, antwortete ich, ›es geht um Odilie. Wir haben die letzten Nächte im Freien verbringen müssen, weil ich keine Herberge für uns bezahlen konnte. Es war sehr kalt.‹
›Wo ist Odilie?‹, fragte sie. ›Wie alt ist sie? Hat sie das öfter?‹, und manches mehr. Ich gab nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft, verschwieg aber deine hohe Herkunft. Am Ende sagte sie: ›Goldrute, Kamillenblüten und Frauenmantel, damit werden wir deiner Frau helfen. Bring sie nur rasch hierher. Niemand soll sagen, Mathilde Ysengard würde nicht zur Stelle sein, wenn Not am Mann ist.‹
Den Rest kennst du, Odilie«, schloss ich.
»Ja«, sagte sie, »den Rest kenne ich.« Und dann fing sie zu meiner Bestürzung an zu weinen.
»Um Gottes willen, was hast du?«, rief ich.
»Nichts. Es ist nichts. Du bist … so freundlich. Aber ich möchte nach Hause, endlich nach Hause.« Ihr Schluchzen wurde stärker, und sie ließ es geschehen, dass ich ihre Hände in meine nahm und sie streichelte. »Werde nur rasch gesund«, sagte ich. »Dann bringe ich dich nach Heidelberg. Es ist nur noch ein Katzensprung.«
»Ja, danke. Danke, Lukas.«
Am Karsamstag ging Ysengard früh aufs Rathaus, denn der Schultheiß der Stadt hatte zu einer wichtigen Sitzung gerufen. Das gab Hartmut die Gelegenheit, mir eine erste Lektion in der Kunst des Schmiedens zu erteilen. Er prüfte die Glut in der Esse und stocherte mit einem Schlackenhaken darin herum. »Ein gutes Schmiedefeuer darf niemals ausgehen«, erklärte er. »So wie der Mensch im Alter weise wird, so wird auch das Feuer mit den Jahren immer besser. Gute Arbeit gelingt nur in einem
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