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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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guten Feuer. Leg mal ein paar Scheite nach.«
    Ich gehorchte. Doch Hartmut war nicht zufrieden. »Nicht so viel. Willst du die Flammen ersticken?«
    »Nein, natürlich nicht.« Ich nahm zwei Scheite fort und verbrannte mir fast die Hände dabei.
    »Und blas die Glut an.«
    Ich betätigte den Blasebalg. Fast augenblicklich wurde die Glut heller, und die Scheite fingen Feuer.
    »Nichts ist beim Schmieden so wichtig wie die richtige Hitze. Wenn die nicht stimmt, nützen der beste Werkstoff und das beste Werkzeug nichts.«
    »Ja, Hartmut.«
    »Siehst du die Zangen da neben dem Löschtrog? Jede hat ihren eigenen Namen. Hör zu und merk dir gut, wie sie heißen.« Er zählte wohl ein Dutzend Namen auf, die ich mir einprägen musste. Dann folgten weitere Werkzeuge wie Greifzirkel, Metallsägen, eiserne Winkel, Abschroter, Feilen und Dorne. Mir schwirrte der Kopf.
    »Lass das Feuer nicht ausgehen.«
    »Tut mir leid, Hartmut.«
    »Dass es dir leidtut, nützt keinem was. Wenn ich dem Meister erzähle, dass dir das Feuer ausgegangen ist, vierteilt er dich.«
    »Ja, Hartmut.«
    Danach zählte er die Hämmer auf, die der Größe nach an der Wand hingen. Es waren mindestens so viele wie Zangen, und sie hatten genauso unterschiedliche Namen, vom schweren Vorschlaghammer bis hin zum kleinen Handhammer. Es folgten die Sägen, die Bohrer, die Scheren und manches mehr.
    »Liegt denn keine richtige Arbeit an?«, fragte ich irgendwann zaghaft.
    »Richtige Arbeit?« Hartmut lachte meckernd. »Wie willst du ›richtige Arbeit‹ verrichten, wenn du noch nicht mal weißt, wie das Werkzeug heißt? Aber meinetwegen. Der Meister hat gesagt, du könntest dir den kleinen Handblasebalg vornehmen. Der ist kaputt. Ich zeige dir, wie man ihn repariert.«
    So verging der Vormittag.
    Als das Mittagsgeläut vom nahen Kirchturm erklang, fragte ich, ob ich Odilie einen frischen, heißen Aufguss in die Kammer bringen dürfe, aber Hartmut wollte davon nichts wissen. »Erst probieren wir aus, ob der Blasebalg wieder funktioniert. Und dann räumst du deinen Arbeitsplatz auf.«
    »Ja, Hartmut«, sagte ich und beobachtete den alten Mann, wie er die Werkstatt verließ, um zum Essen zu gehen.
    Meine Hilfsdienste in der Schmiede hatte ich mir leichter vorgestellt.
     
    Am Nachmittag war Ysengard wieder da. Der Meister schmiedete ein paar schwere Türangeln, und ich ging ihm zur Hand, indem ich den Blasebalg bediente und mich um das Feuer kümmerte. Hartmut saß in einer Ecke der Werkstatt und machte ein Nickerchen. Langsam begriff ich, warum meine Hilfe in der Werkstatt so willkommen war: Hartmut konnte keine anstrengenden Arbeiten mehr erledigen. Die Gicht plagte ihn in den Händen. Aber da er gewissermaßen zur Familie gehörte, sollte er weiter dabei sein und das Gefühl haben, gebraucht zu werden.
    Nach einiger Zeit schickte Ysengard mich zur Meisterin. Ich sollte ihr ausrichten, dass er wegen des anstehenden Osterfestes früher Feierabend machen würde und deshalb auch früher die Abendmahlzeit einnehmen wolle. Ich fand die Meisterin in einem kleinen Raum, der Kontor genannt wurde, wo sie über den Büchern saß und die Einnahmen und Ausgaben der Werkstatt festhielt. Ich richtete meine Botschaft aus, aber sie hörte kaum zu. Ich wiederholte meine Worte, und sie sagte: »Jaja, ich hab’s gehört. Die Schreiberei und Rechnerei schlägt mir aufs Gemüt. Ich bin nun mal nicht zum Federfuchser geboren. Will lieber zehn Kranke vom Aussatz kurieren, als einmal in der Woche die vermaledeiten Bücher führen. Was gibt’s denn?«
    Ich wiederholte meine Worte zum dritten Mal und dachte, dass es mir ein Leichtes sein würde, ihr zu helfen. Doch mein Angebot hätte sicher vielerlei Fragen nach sich gezogen, in deren Zusammenhang ich mich früher oder später als Magister der Künste hätte offenbaren müssen. Für sich allein genommen wäre das nicht bedenklich gewesen, doch wie ich die Meisterin kannte, hätte sie sofort wissen wollen, ob auch Odilie von höherem Stande war. Und das galt es zu vermeiden.
    »Sag Ysengard, ich werde mich darum kümmern. Mir ist jeder Grund recht, von den Büchern wegzukommen.«
    »Ja, Meisterin.«
     
    An den Ostertagen kehrten Muße und Besinnlichkeit ins Haus ein. Alle Arbeit ruhte, bis auf die Vorbereitungen für das Ostermahl. Bevor es eingenommen wurde, schritten wir gemeinsam zur Kirche, verfolgten die Messe und beteten das
Agnus Dei,
die ersten Worte des Ostergebetes: Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme

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