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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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aufstehen.«
    »Ich werde darauf achten.«
    »Ja, gut. Ich gehe dann.«
     
    Ich ging hinunter in den großen Raum, in dem gewohnt und gegessen wurde, und setzte mich zum Frühstück nieder. Es war Karfreitag, einer der höchsten Feiertage im Jahr, und alle Arbeit in der Werkstatt ruhte. Meister Ysengard sprach das Tischgebet, und wir aßen. Es gab das übliche dunkle Brot und eine Schüssel Haferbrei. Nachdem wir unsere Mahlzeit beendet hatten, wollte ich es mir nicht nehmen lassen, Odilie etwas von dem Essen hinaufzubringen, und bat die Meisterin um ein Tablett.
    »Du bist sehr fürsorglich«, sagte sie. »Der Meister war auch so in unseren jungen Ehejahren, aber das ist lange her, nicht wahr, Ysengard?«
    Ysengard brummte etwas Unverständliches, und Hartmut lachte meckernd. Ich stand vom Tisch auf, lobte noch einmal das gute Mahl und trug die Speise zu Odilie hinauf. Doch Odilie schlief. Sie atmete tief und regelmäßig, und ihr Gesicht war entspannt. Kein Anzeichen des Schmerzes lag mehr darin. Sie sah wunderschön aus. Ich ertappte mich dabei, dass ich den Wunsch verspürte, die zarte Haut ihres Gesichts zu berühren und die feinen Linien ihres Mundes, ihrer Nase und ihrer Brauen nachzuzeichnen. Doch ich versagte es mir. Eine solche Vertraulichkeit hätte sie niemals geduldet. Sie war eine Prinzessin, und ich war ein Nichts. Behutsam setzte ich das Tablett auf dem Schemel ab und schloss leise die Tür hinter mir.
     
    Am Vormittag machten Ysengard und die Meisterin sich fein. Sie zogen ihre besten Kleider für den Kirchgang an. Auch Hartmut hatte sich herausgeputzt. Ich dagegen hatte nichts dergleichen und ging davon aus, dass ich zu Hause bleiben würde. Ich wollte nach Odilie sehen und mich davon überzeugen, dass sie gegessen hatte. Doch daraus wurde nichts. Die Meisterin sagte: »Lukas, du kommst mit in die Kirche. Sicher willst du dort ein Gebet für die Genesung deines Weibes sprechen.«
    »Das würde ich gern«, sagte ich. »Aber in meinem Aufzug kann ich nicht gehen.«
    »Daran habe ich schon gedacht. Du ziehst alte Sachen vom Meister an. Sie werden passen. Ysengard war nicht immer so stark um die Leibesmitte.«
    »Ja, Meisterin.«
    So ergab es sich, dass ich seit langem wieder einmal an einem Gottesdienst teilnahm. Die Liturgie war etwas anders, als der alte Prälat Bindschedler sie vollzogen hatte, aber wiederum nicht so fremd, dass ich nicht hätte folgen können. Auch die meisten der Lieder kannte ich. Für den Opferstock und für die Kerzen hatte mir Ysengard ein paar kleine Münzen gegeben, und ich kniete nieder und betete an einem Seitenaltar für die Gesundheit meiner Familie in Siegershausen. Für jeden von ihnen entzündete ich eine Kerze. Dann besann ich mich und steckte eine weitere an. Für Gertrud, Thérèse und all die anderen. Und für Odilie.
    Auf dem Nachhauseweg begegneten wir zahlreichen Bürgern von Sinsheim, und die Meisterin erzählte jedem, wer ich sei und dass meine Frau mit Blasenbrennen darniederliege, welches durch ihre Heilkunst aber bald kuriert sein werde. Ich fand es für mich und Odilie wenig angenehm, so im Mittelpunkt zu stehen, aber ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich mussten wir der Meisterin dankbar sein.
    Am Nachmittag ging ich wieder hinauf in die gemeinsame Kammer. Diesmal war Odilie wach. »Wie geht es dir?«, fragte ich.
    »Gut, danke.«
    »Und die Schmerzen?«
    »Sind besser.«
    »Das freut mich. Hast du gegessen?«
    »Ja, aber nicht alles.« Odilie wies auf das Tablett mit dem leeren Teller und lächelte. »Jemand hat mir geholfen.«
    »Heißt das etwa, dass …?«
    »Ja«, sagte sie und schlug die Decke zurück. Darunter kam Schnapp zum Vorschein, der mich freudig anbellte. »Ich habe mich um ihn gekümmert, während du in der Kirche warst. Ich glaube, wir haben Freundschaft geschlossen.«
    »Nun, vielleicht sollten wir das auch.« Während ich das sagte, nahm ich das Tablett auf, denn ich wollte nicht, dass Odilie die Verlegenheit in meinem Gesicht sah.
    »Ja, vielleicht«, sagte sie.
    Ich ging hinunter, holte einen Krug mit erhitztem Kräuteraufguss, den die Meisterin stets bereithielt, und sorgte dafür, dass Odilie ihre Behandlung fortsetzen konnte. Als sie wieder auf ihrem Schemel thronte, Schnapp auf dem Schoß, fragte sie mich, warum ich am gestrigen Tag so sicher gewesen sei, ihr helfen zu können, und wie sich alles so einfach zum Guten gewendet habe.
    »So sicher war ich gar nicht«, antwortete ich und setzte mich ihr gegenüber

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