Der Medicus von Heidelberg
nicht?«
»Nun, weil die Schmerzen danach wieder da gewesen wären, und weil …«
»Ja?«
»Weil ich sicher bin, dass mein Befehl nur bei Menschen wirkt, die mir, äh, gleichgültig sind.«
Ich hoffte, Odilie würde nicht nachhaken und wissen wollen, warum sie mir nicht gleichgültig sei, und zu meiner Erleichterung tat sie mir den Gefallen. Stattdessen sagte sie: »Dass du studiert hast, habe ich mir manchmal gedacht, weil du dich mit Adam Wernher von Themar so eingehend in der Tenne unterhalten hast. Ich meine, nicht nur über unsere Flucht. Allerdings habe ich nicht viel davon mitgekriegt, weil die Heuwand dazwischen war. Jetzt weiß ich, wie alles zusammenhängt und dass du ein echter Magister bist.«
»So wie du eine echte Prinzessin.«
»Ja, wir sind nicht nur Knecht und Magd.«
»Nein, aber wenn du willst, werde ich gleich morgen dem Meister und der Meisterin sagen, wer wir in Wahrheit sind.«
»Nein, bitte! Ich will es nicht. Außerdem sind wir ja bald in Heidelberg. Ich bin wieder ganz gesund und gut zu Fuß.«
»Gott sei Dank. Dann ziehen wir morgen weiter?«
Sie blickte mich an. »Ja, morgen ziehen wir weiter.«
Ich verspürte einen Stich im Herzen, denn der Gedanke, Sinsheim zu verlassen und nach Heidelberg zum fürstlichen Schloss zu gehen, um dort einander Lebewohl zu sagen, war mir nicht angenehm. Die Entfernung betrug höchstens zwanzig Meilen, was bedeutete, dass wir spätestens nach zwei Tagen am Ziel sein würden.
»Was hast du, Lukas?«
»Nichts. Wenn es morgen weitergeht, sollten wir jetzt schlafen.« Ich beugte mich aus dem Bett, um die Lampe zu löschen und den kleinen Schnapp aufzuheben und zwischen uns zu legen. Doch Odilie sagte leise: »Lass Schnapp ruhig vor dem Bett schlafen.«
»Aber er schläft doch immer zwischen uns?«
»Diese Nacht nicht.«
Kapitel 6
Sinsheim, Bammental, Heidelberg,
12 . bis 20 . April 1504
A m Freitag in der Frühe, als wir bei der Morgensuppe saßen, sagte die Meisterin: »Wenn ich nicht genau wüsste, dass ihr Mann und Frau seid, könnte man meinen, ihr habt euch gerade erst kennengelernt.«
»Wie kommt Ihr denn darauf, Meisterin?«, fragte ich so beiläufig wie möglich.
»Eure Augen leuchten so.«
»Vielleicht liegt es am Licht. Es verspricht, ein schöner Tag zu werden.«
»Nein, nein, das ist es nicht.« Sie überlegte. »Oder ist es, weil ihr uns heute verlasst? Sag, Odilie, war es denn gar so schlimm in meiner Obhut?«
»Nein, Meisterin. Lukas und ich sind Euch sehr dankbar für Eure Fürsorge.« Odilies Hand griff unter dem Tisch nach der meinen und drückte sie.
»Dann ist es gut. Das heißt, eigentlich ist es nicht gut, denn ihr beide seid mir ans Herz gewachsen. So ist es nun mal, wenn man keine Kinder hat. Ich werde euch vermissen.«
»Wir Euch auch, Meisterin.«
»Kann ich noch von dem Brot haben?«, fragte Hartmut.
»Nimm dir selbst, du bist doch sonst nicht so schüchtern.«
Hartmut lachte meckernd und schnitt sich eine dicke Scheibe ab.
»Wo war ich? Ach ja: Höre, Odilie, ich werde dir noch von den Kräutern mitgeben. Es kann nicht schaden, wenn du in den nächsten Tagen noch das eine oder andere Sitzbad nimmst. Und halte dich immer schön warm, du weißt schon, wo. Das alte Schultertuch, das ich noch in der Kleidertruhe habe, nimmst du auch mit. Es hat zwar seine besten Tage hinter sich, aber der Zweck heiligt die Mittel. Lukas, du musst mir versprechen, besonders gut auf Odilie aufzupassen. Sie ist ein reizendes Ding. Ysengard, hast du Lukas schon ein Entgelt für seine Dienste gegeben?«
»Habe ich.« Ysengard löffelte seine Suppe weiter. Er gehörte zu den Menschen, die morgens nicht viel reden.
»Wie viel bekommt Ihr für Speise, Unterkunft und Krankenpflege, Meisterin?«, fragte ich. »Ich möchte bezahlen, was ich Euch schuldig bin.«
»Willst du mich beleidigen? Natürlich seid ihr mir nichts schuldig. Wahrscheinlich hat Ysengard dir den Floh mit der Bezahlung ins Ohr gesetzt, stimmt’s, Ysengard?«
Da der Meister es vorzog, nicht zu antworten, fuhr sie fort: »Wenn ihr unterwegs seid, lasst euch Zeit. Es kommt nicht darauf an, ob ihr morgen, übermorgen oder nächste Woche in Heidelberg eintrefft. Geht heute nur bis Bammental, das ist mehr als genug. Es gibt am Dorfrand ein großes Haus mit zwei Fenstern aus Glas. Es gehört dem Mann meiner Nichte. Guntram heißt er. Guntram Firnhaber. Bei ihm könnt ihr umsonst übernachten, wenn ihr einen schönen Gruß von Mathilde Ysengard ausrichtet.«
»Danke,
Weitere Kostenlose Bücher