Der Medicus von Heidelberg
Weile hin, damit die Heilkräfte sich in der Wunde ausbreiten können und die Salbe Gelegenheit zur Wirkung hat.«
Odilie und ich stiegen also wieder zu unserer Kammer empor, wo ich mich brav aufs Bett legte. Kaum lag ich, klopfte es. Die Meisterin war an der Tür, um mitzuteilen, dass sie Hartmut beauftragt habe, umgehend den Handlauf zu reparieren. »Ich weiß nicht, ob er das kann, weil er ja Schmied ist und kein Zimmerer, aber ich habe ihm gesagt, dass es sein muss. Will nicht noch einmal erleben, dass sich jemand daran verletzt. Und nun lasse ich euch in Ruhe.«
Sie verschwand wieder, und Odilie legte sich zu mir. Der Schreck stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. Ich beugte mich hinüber und küsste sie sanft auf den Mund. Die kleinen Falten auf ihrer Stirn glätteten sich. Wir schauten uns an. Ganz konnten wir beide noch nicht begreifen, was zwischen uns in der Nacht zuvor geschehen war. Ich wollte sie fragen, ob sie einverstanden sei, wenn wir erst am anderen Tag aufbrächen, als es schon wieder klopfte. Es war Gesine, die in der Tür stand. »Ich komm von der Meisterin. Sie will wissen, was zum Mittagsmahl recht wäre. Dicke Hafergrütze mit Lauchgemüse wäre möglich oder eine Eierspeise. Die Hühner vom Nachbarn haben gut gelegt. Dazu gäb’s Brot und Schmalz.«
»Uns ist beides recht. Sag der Meisterin, sie soll herrichten, was am wenigstens Mühe macht«, antwortete ich.
»’s macht beides keine Mühe.«
»Ja, dann …« Ich blickte Odilie an.
»Dann die Eierspeise.«
»Eierspeise, ist gut.«
Gesine verschwand, und Odilie fragte mich besorgt: »Tut es noch sehr weh?«
»Nicht der Rede wert«, sagte ich, obwohl das nicht zutraf. »Was meinst du, sollen wir noch einen Tag hierbleiben?«
»Ja, ich habe es nicht eilig.« Odilie lächelte.
»Dann machen wir es so.« Die Aussicht auf eine weitere Nacht in der kleinen, anheimelnden Kammer schien mir sehr verlockend. Doch meine angenehmen Gedanken wurden unterbrochen von einem kratzenden Geräusch.
»Was ist das?«, fragte Odilie.
»Ich glaube, Hartmut hat sich an die Arbeit gemacht. Er glättet den Handlauf mit einer Raspel.«
»Das hätte er besser vorher getan.«
»Das stimmt.«
Eine Weile schwiegen wir. Wir mussten nicht miteinander reden. Beide waren wir dem Glück begegnet, und es hatte uns trotz aller Unterschiedlichkeit zusammengeführt. Eine leibhaftige Prinzessin, die in Straßenkleidung daherlief, und einen Magister der Künste, der als Hilfsmann in einer Schmiede arbeitete. Das Einzige, was ein wenig störte, war der emsige Hartmut auf der Treppe. Irgendwann fragte Odilie: »Ob er noch lange braucht?«
»Ich weiß es nicht. Wir hören einfach weg. Komm zu mir, meine Prinzessin.«
Odilie schmiegte sich an mich. »So wie du ›Prinzessin‹ sagst, klingt es ganz anders, als wenn die Leute im Schloss es sagen.«
»Ich bin ja auch nicht dein Diener.«
»Aber wenn du es wärst, könnte ich dich einfach mitnehmen.« Odilie lachte. Dann wurde sie ernst. »Leider geht das nicht. Du willst ja in Erfurt studieren. Kannst du das nicht auch in Heidelberg? Wir haben eine gute Universität, sagt man. Ich könnte für dich …«
Odilies Worte wurden von abermaligem Klopfen unterbrochen. »Bist du es, Hartmut?«, fragte ich.
»Nein, Hartmut ist noch nicht fertig. Er holt noch eine feinere Raspel und Schmirgelzeug. Ich habe ihm gesagt, er soll sich beeilen. Er macht ja einen Lärm, dass die Holzwürmer den Herrgott um Beistand anflehen.« Die Meisterin trat in die Kammer. »Ich will euch nicht stören, aber das Stroh in den Matratzen muss ausgetauscht werden. Es ist mal wieder so weit. Nein, nein, bleibt liegen, Kinder. Dafür ist heute Nachmittag noch Zeit. Wenn gleich das Essen auf dem Tisch steht, holt Gesine euch.«
Sprach’s und ging wieder.
Odilie und ich schauten uns an. Dann prustete Odilie los. »Sie ist die Neugier in Person!«
Ich lachte mit. »Ja, das ist sie. Ich glaube, sie wollte nichts weiter als sehen, was wir machen.«
»Und was machen wir?«
»Warte, das will ich dir zeigen.« Ich schob meine gesunde Hand unter Odilies Taille und wollte sie auf mich ziehen, doch wir wurden schon wieder unterbrochen. »Ich habe noch etwas vergessen«, sagte die Meisterin. Sie legte zwei saubere Kompressen auf den wackligen Tisch und ein Töpfchen mit Salbe. »Wenn dein Verband durchgeblutet ist, kann deine Frau dir einen neuen machen, Lukas. Nicht wahr, das kannst du doch, Odilie? Wenn nicht, zeig ich’s dir rasch an der anderen
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