Der Medicus von Saragossa
daß eine Frau zum Verkehr bereit gemacht werden kann, wenn der Mann gewisse Stellen mit Händen oder Mund reizt, doch es ist ein Geheimnis, das sogar viele Anatomen nicht kennen, daß der eigentliche Quell weiblicher Erregung hier sitzt«, sagte er und zeigte Jona das winzige, knapp erbsengroße Organ, das am oberen Ende des Geschlechts in zwei Hautfalten eingebettet lag wie ein Juwel.
Das erinnerte Nuño an etwas, das er Jona unbedingt einschärfen wollte. »In der Stadt gibt es Frauen in großer Anzahl, so viele, daß jeder Mann seine Bedürfnisse unauffällig befriedigen kann. Aber halte dich von den Huren fern, da viele von ihnen die Lues haben, eine Krankheit, vor der man sich wegen der schrecklichen Folgen hüten sollte.«
Als sie eine Woche später das Haus von Lucia Porta im Stadtzentrum besuchten, prägte sich Jona diese Lektion unauslöschlich ein. »Señora«, rief Nuño, »hier ist der Arzt, der nach Jose und Fernando sehen will«, und gleich darauf hörten sie eine Frau zur Tür schlurfen.
»Hola, Señora«, sagte Nuño. Sie starrte die beiden grußlos an, ließ sie aber ein. Ein kleiner Junge lehnte an der Wand und betrachtete sie teilnahmslos.
»Hola, Fernando«, sagte Nuño. »Fernando ist acht Jahre alt«, sagte er, und Jona empfand Mitleid mit dem Jungen, denn er sah aus wie vier oder fünf. Die Beine waren unterentwickelt und schrecklich säbelförmig verbogen. Er gähnte schlaff und zeigte dabei einen Mund voller mißgebildeter, spitzer und weit auseinanderstehender Zähne.
»Und das ist Jose.«
Auf einem Strohsack lag ein jüngerer Knabe, und Nuño und Jona beugten sich darüber.
»Hola, Jose«, flüsterte Nuño. Bei dem kleinen Jungen zeigten sich Bläschen und Entzündungen um Mund und Nase. »Fernando hat bereits dunkle Wucherungen an Hoden und Anus, wie kleine Weintrauben. Jose wird sie bald bekommen.«
»Habt Ihr noch genügend Salbe, Señora?«
»Nein. Alles weg.«
Nuño nickte. »Dann müßt Ihr zum Apotheker gehen. Ich werde ihm sagen, daß er Euch erwarten und frische Salbe geben soll.«
Jona war froh, als sie wieder in den hellen Sonnenschein hinaustraten und davongingen.
»Die Salbe wird ihnen nur wenig helfen. Es gibt nichts, das ihnen wirklich hilft«, sagte Nuño. »Die Entzündungen verschwinden wieder, aber die Zähne bleiben, wie sie sind. Und es kann noch viel schlimmer kommen. Mir ist aufgefallen, daß einige von meinen Patienten, die dem Wahnsinn verfallen sind – zwei Männer und eine Frau -, in ihrer Jugend die Lues hatten.« Er zuckte die Achseln. »Ich kann nicht beweisen, daß zwischen diesen beiden Krankheiten ein Zusammenhang besteht, aber es scheint mir von Bedeutung zu sein, daß diese Verbindung auftritt«, sagte er, und das war für lange Zeit das einzige, was er Jona über die Lues beibrachte.
Nuño meinte, sein Lehrling müsse regelmäßig die Kirche besuchen, obwohl Jona anfangs nichts davon wissen wollte. Es war ihm nicht schwergefallen, in Gibraltar, wo er unter ständiger Beobachtung stand, den Anschein christlicher Frömmigkeit aufrechtzuerhalten, hier aber, in Nuños Haus, wo er spürte, daß einem Ungläubigen keine Gefahr drohte, wehrte er sich gegen die heuchlerische Befolgung katholischer Riten.
Doch Nuño ließ sich nicht erweichen. »Am Ende deiner Lehrzeit mußt du vor den Vertretern der Stadt erscheinen und dich um die Zulassung als Medicus bewerben. Ich muß dich begleiten. Und wenn sie dich nicht als praktizierenden Christen kennen, erhältst du keine Zulassung.« Dann brachte er sein entscheidendes Argument vor. »Wenn man dich entlarvt und tötet, werden Reyna und ich mit dir untergehen.«
»Ich war nur ein paarmal, als es unausweichlich war, in christlichen Gottesdiensten. Damals konnte ich die nachmachen, die in meiner Nähe saßen, ich kniete mich hin, wenn sie knieten, und blieb sitzen, wenn sie es taten. Aber jeder Kirchenbesuch ist gefährlich für mich, da ich die Feinheiten kirchlichen Verhaltens nicht kenne.«
»Das ist leicht zu lernen«, erwiderte Nuño gelassen, und so kam es, daß Jona nicht nur in der Medizin unterwiesen wurde, sondern auch lernte, sich an den richtigen Stellen zu erheben oder hinzuknien, die lateinischen Gebete aufzusagen, als wären sie ihm so vertraut wie das Schema, und sogar, beim Betreten der Kirche das Knie zu beugen, als hätte er es sein Leben lang an jedem Sonn- und Feiertag getan.
In Saragossa kam der Frühling später als in Gibraltar, doch endlich wurden die Tage länger und wärmer.
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