Der Medicus von Saragossa
Saragossa
Aragõn, 10. Februar 1501
1. Der Lehrling des Arztes
W enn Jona nun mit Nuño zu einem Patienten ritt, wartete er nicht mehr nur untätig, bis der alte Medicus seine Arbeit getan hatte. Aufmerksam stand er neben dem Krankenlager, während Nuño mit leiser Stimme Untersuchung und Behandlung erläuterte. »Siehst du, wie feucht die Laken sind? Riechst du das Saure seines Atems?« Jona hörte genau zu, wie Nuño der Frau des Kranken erklärte, ihr Mann liege mit Fieber und Koliken darnieder, und für sieben Tage leichte, gewürzfreie Kost und Kräuteraufgüsse zum Trinken verschrieb.
Solange sie von Haus zu Haus ritten, trieben sie ihre Pferde zu forschem Trab an, doch auf dem gemächlichen Nachhauseritt hatte Jona für gewöhnlich einige Fragen, die ihm während der Arbeit des Tages gekommen waren. »Wie unterscheiden sich die Symptome einer Kolik?«
»Manchmal geht eine Kolik mit Fieber und Schwitzen einher, manchmal aber auch nicht. Koliken können durch heftige Verstopfung hervorgerufen werden, und dafür sind Feigen, die in Olivenöl und Honig zu einer dicken Paste verkocht werden, ein gutes Heilmittel. Aber auch Durchfall kann Koliken verursachen, und dagegen nimmt man Reis, der zuerst braun geröstet, dann weich gekocht und langsam gegessen wird.«
Auch Nuño selbst hatte immer einige Fragen. »Wie paßt das, was wir heute gesehen haben, zu dem, was Avicenna über die Erkennung von Krankheiten sagt?«
»Er hat geschrieben, daß Krankheit oft an dem zu erkennen ist, was der Körper produziert und ausscheidet, also Speichel, Stuhl, Schweiß und Urin.«
Jona arbeitete weiter an der Übersetzung von Avicennas Buch, und was er dort las, bekräftigte, was Nuño ihn lehrte:
Symptome erkennt man anhand der Untersuchung des Körpers. Es gibt sichtbare, wie etwa Gelbsucht und Ödeme; einige sind mit dem Ohr wahrzunehmen, wie etwa das Glucksen im Bauch bei Wassersucht; üble Ausdünstungen reizen den Geruchssinn, wie zum Beispiel bei eitrigen Geschwüren; wieder andere sind dem Geschmackssinn zugänglich, wie die Säure des Mundes; gewisse sind mittels Berührung bestimmbar: die Festigkeit eines...
Wenn er auf ein Wort stieß, das er nicht kannte, mußte er sich an Nuño wenden. »Hier steht: ›die Festigkeit eines...‹, das hebräische Wort lautet sartan. Ich weiß nicht, was sartan bedeutet.«
Nuño las den übersetzten Absatz und lächelte. »Das heißt bestimmt Krebs. Mittels Berührung ist die Festigkeit eines Krebses bestimmbar.«
So lehrreich die Übersetzung eines solchen Buches auch war, konnte Jona Avicenna nur sehr wenig Zeit widmen, denn Nuño Fierro war ein anspruchsvoller Lehrer, der ihm unverzüglich auch andere Bücher zum Lesen gab. Der Arzt besaß mehrere klassische Werke der Medizin in spanischer Sprache, und Jona mußte sich das Wissen aneignen, das Teodorico Borgognoni in seinen Schriften über die Chirurgie, was Isaak in seiner Arbeit über Fieber und was Galen über den Puls mitteilte.
»Du darfst sie nicht nur lesen«, schärfte ihm Nuño ein. »Du mußt sie dir einprägen. Du mußt sie dir so einprägen, daß du sie in Zukunft nicht mehr aufschlagen mußt. Ein Buch kann verbrennen oder verlorengehen, aber wenn du es dir wirklich eingeprägt hast, dann ist das Buch ein Teil von dir, und das Wissen wird bestehen, solange es dich gibt.«
Gelegenheit zu weiteren Sektionen in der Scheune bekamen sie nur äußerst selten. Immerhin konnten sie die Leiche einer Frau studieren, die sich selbst im Ebro ertränkt hatte. Als sie ihr den Bauch aufschnitten, zeigte Nuño Jona einen Fötus, der noch nicht voll ausgebildet und so winzig war wie ein Fisch, den jeder Angler in den Fluß zurückgeworfen hätte.
»Das Leben entsteht aus dem Samen, dem Ausfluß des Penis«, erklärte ihm Nuño. »Wir wissen nicht, was im Leib der Frau geschieht, das die Verwandlung bewerkstelligt. Einige glauben, daß die Samen, die mit der männlichen Flüssigkeit ausgestoßen werden, von der natürlichen Wärme der weiblichen Höhlung zum Wachstum angeregt werden. Andere meinen, Ursache sei die zusätzliche Reibungswärme, die durch das wiederholte Stoßen des männlichen Glieds entsteht.«
Als sie die Brust sezierten, wies Nuño ihn auf das schwammartige innere Gewebe hin, in dem sich bei einigen Frauen Tumoren bildeten. »Die Brustwarzen sind nicht nur dazu da, dem Säugling die Milch zu spenden, sie sind auch sehr empfindliche Stellen, die der geschlechtlichen Erregung dienen. Tatsächlich ist es so,
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