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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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und es tat ihm leid, ihm noch mehr zuzufügen, holte aber dennoch ein Skalpell aus der Tasche, stutzte die ausgefransten Ränder zurecht und beendete die Beschneidung. Der Mann auf dem Boden stöhnte und trank gierig den letzten Schluck aus der Flasche.
    Danach lag er schwer atmend am Boden, während Jona eine lindernde Salbe auftrug und einen lockeren Verband anlegte.
    »Zieht die Hose nicht wieder an. Wenn Euch kalt ist, deckt Euch zu, haltet aber die Decke mit den Händen von Euch entfernt.«
    Die beiden sahen sich an.
    »Warum habt Ihr das getan? Was bringt es Euch?« »Das würdet Ihr nicht verstehen«, sagte Don Berenguer.
    Jona seufzte und nickte. »Ich komme morgen wieder, wenn man es mir erlaubt. Habt Ihr irgendeinen Wunsch?« »...Wenn Ihr meiner Mutter ein wenig Obst bringen könntet...«
    Jona war entsetzt. »Doña Sancha Berga ist hier?«
    Berenguer nickte. »Wir alle. Meine Mutter. Meine Schwester Monica und ihr Gatte Andres, und mein Bruder Geraldo.«
    »Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte Jona betroffen und rief die Wache, damit sie ihm die Zelle aufsperre.
    In der Eingangshalle, bevor Jona sich nach dem Zustand der anderen Mitglieder der Familie Berenguer erkundigen konnte, fragte ihn der Priester, ob er auch nach Doña Sancha sehen könne. »Sie braucht dringend einen Arzt«, sagte der Priester. Er schien ein anständiger junger Mann zu sein, der sich Sorgen machte.
    Als Jona zu Doña Sancha gebracht wurde, sah er die schöne alte Frau auf ihrem Lager liegen wie eine geknickte Blume. Sie starrte ihn blicklos an, und er erkannte, daß ihre catarata gereift waren, beinahe so weit fortgeschritten, daß eine Operation angebracht wäre, aber Jona wußte, daß er den Star in diesen Augen nie stechen würde.
    »Hier ist Callicó, der Arzt, Señora«, sagte er sanft. »... Ich bin... verletzt, Señor.«
    »Wie seid Ihr zu diesen Verletzungen gekommen, Señora?« »...Man hat mich auf das Streckbett gespannt.«
    Er sah, daß die Folter ihr die rechte Schulter ausgekugelt hatte, und er mußte zwei Wachen zu Hilfe rufen, um sie ihr wieder einzurenken. Während der Prozedur schrie sie leise, und danach konnte sie nicht aufhören zu weinen.
    »Señora. Ist die Schulter jetzt nicht besser?«
    »Ich habe meine schönen Kinder ins Verderben gestürzt«, flüsterte sie.
    »Wie geht es ihr?« fragte der Priester.
    »Sie ist alt, ihre Knochen sind weich und spröde. Ich bin mir sicher, daß sie vielfache Brüche hat. Ich glaube, sie stirbt«, erwiderte Jona. Voller Verzweiflung ritt er vom Gefängnis nach Hause.
    Als er am nächsten Tag mit Rosinen, Datteln und Feigen zurückkehrte, mußte er feststellen, daß Don Berenguer noch immer an starken Schmerzen litt.
    »Wie geht es meiner Mutter?«
    »Ich tue für sie, was ich kann.«
    Berenguer nickte. »Ich danke Euch.«
    »Wie ist es zu all dem gekommen?«
    »Wir sind Alte Christen und haben das auch immer kundgetan.
    Die katholische Familie meines Vaters reicht weit zurück. Die Eltern meiner Mutter waren konvertierte Juden, und sie wuchs mit gewissen harmlosen Ritualen auf, die auch bei uns eine Familientradition wurden. Sie erzählte uns Geschichten aus ihrer Kindheit und zündete jeden Freitag bei Einbruch der Dämmerung Kerzen an. Ich weiß nicht genau, warum, vielleicht im Andenken an ihre Verstorbenen. Und jede Woche versammelte sie an diesem Abend ihre Kinder zu einem reichhaltigen Mahl, mit Dankgebeten für die Speise und den Wein.«
    Jona nickte.
    »Irgend jemand hat sie angezeigt. Sie hatte keine Feinde, aber... kürzlich mußte sie eine Dienerin wegen wiederholter Trunkenheit entlassen. Es ist möglich, daß diese Küchenmagd Urheberin all unserer Schwierigkeiten ist.
    Ich mußte mir die Schreie meiner Mutter anhören, während man sie folterte. Könnt Ihr Euch dieses Grauen vorstellen? Danach sagten mir die Männer, die mich verhörten, daß meine Mutter schließlich uns alle, meine Brüder und Schwestern – und sogar unseren seligen Vater – des heimlichen Judaisierens beschuldigt habe.
    Ich wußte also, daß wir verloren sind, jeder einzelne von uns. Meine Familie, die immer in dem Bewußtsein gelebt hat, Alte Christen zu sein. Und doch ist ein Teil von uns jüdisch, so daß wir weder ganz katholisch noch ganz jüdisch waren, so als würden wir zwischen zwei Ufern treiben. In meiner Verzweiflung wuchs in mir die Überzeugung, daß ich, wenn ich schon als Jude auf dem Scheiterhaufen verbrannt würde, als Jude vor meinen Schöpfer treten sollte, und

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