Der Medicus von Saragossa
so habe ich meinen Trinkbecher zerbrochen und mich mit einer Scherbe beschnitten.
Ich weiß, daß Ihr das nicht verstehen könnt«, sagte er zu Jona, wie schon am Abend zuvor.
»Ihr irrt Euch, Don Berenguer«, erwiderte Jona. »Ich verstehe Euch sehr gut.«
Als Jona das Gefängnis verließ, hörte er eine Wache mit dem jungen Priester sprechen. »Ja, Padre Espina«, sagte der Mann. Jona drehte sich um und kehrte zu dem Priester zurück.
»Padre«, sagte er. »Hat er Euch Espina genannt?«
»So heiße ich.«
»Darf ich Euch nach Eurem vollen Namen fragen?«
»Ich bin Francisco Espina.«
»Ist Eure Mutter zufällig Estrella de Aranda?«
»Estrella de Aranda war meine Mutter. Sie ist nicht mehr. Ich bete für ihre Seele.« Er starrte Jona an. »Kenne ich Euch, Señor Medicus?«
»Wurdet Ihr in Toledo geboren?«
»Ja«, erwiderte der Priester zögernd.
»Ich habe etwas, das Euch gehört«, sagte Jona zu ihm.
7. Eine erfüllte Pflicht
A ls Jona das Gebetbuch zum Gefängnis brachte, führte der junge Priester ihn einen feuchten Steinkorridor entlang in eine kleine Kammer, wo sie sich unbeobachtet unterhalten konnten. Er nahm das Gebetbuch entgegen, als wäre es verhext. Jona sah zu, wie er es aufschlug und las, was hinter dem Deckblatt geschrieben stand.
Für meinen Sohn Francisco Espina diese Worte des täglichen Gebets zu Jesus Christus, unserem himmlischen Retter, mit der unsterblichen Liebe seines irdischen Vaters. Bernardo Espina.
»Was für eine merkwürdige Widmung von einem verurteilten Ketzer!«
»Euer Vater war kein Ketzer!«
»Mein Vater war ein Ketzer, Señor, und brannte dafür auf dem Scheiterhaufen. In Ciudad Real. Es geschah, als ich noch ein Kind war, aber ich weiß darüber Bescheid. Ich kenne seine Geschichte.«
»Dann kennt Ihr sie falsch, und vor allem nicht ganz, Padre Espina. Ich war dort, in Ciudad Real. Ich habe Euren Vater vor seinem Tod jeden Tag gesehen. Als ich ihn kennenlernte, war ich noch ein Knabe und er ein Mann, ein sehr fähiger und mitfühlender Arzt. Da ihm der Tod bevorstand und er sonst keinen Freund mehr in seiner Nähe hatte, bat er mich, dieses Gebetbuch seinem Sohn zu bringen. Ich habe Euch all diese Jahre gesucht.« »Wißt Ihr sicher, was Ihr da sagt, Señor?«
»Vollkommen, Euer Vater war unschuldig in allem, weswegen er hingerichtet wurde.«
»Seid Ihr Euch dessen gewiß?« fragte der Priester mit leiser Stimme.
»Ganz gewiß, Padre Espina. Er las seine täglichen Gebete aus diesem Buch, fast bis zu dem Augenblick seiner Hinrichtung. Als er für Euch diese Widmung schrieb, vermachte er Euch seinen Glauben.«
Padre Espina schien jemand zu sein, der es gewohnt war, seine Gefühle zu beherrschen, nun aber verriet ihn seine Blässe. »Ich wurde von der Kirche großgezogen. Mein Vater war die Schande meines Lebens. Man hat mich mit dem Gesicht in seine angebliche Abtrünnigkeit gestoßen, wie man einem jungen Hund die Schnauze in die eigene Pisse stößt, damit dergleichen nie wieder passiert.«
Sehr ähnlich sieht er seinem Vater nicht, dachte Jona, nur die Augen sind die von Bernardo Espina. »Euer Vater war der gläubigste und standhafteste Christ, den ich je gekannt habe, und ich kann mich an kaum einen besseren Mann erinnern«, sagte er zu dem jungen Priester.
Sie saßen lange da und unterhielten sich mit leisen, ruhigen Stimmen. Padre Espina berichtete, daß seine Mutter Estrella de Aranda nach der Hinrichtung seines Vaters in den Convento de la Santa Cruz gegangen sei, um Nonne zu werden, und ihre drei Kinder in die Obhut der Familien ihrer Vettern und Basen in Escalona gegeben habe. Binnen eines Jahres sei sie an einem bösartigen Fieber gestorben, und als ihr Sohn zehn Jahre alt war, hätten seine Verwandten ihn den Dominikanern übergeben, und seine Schwestern, Marta und Domitila, hätten den Schleier genommen. Alle drei seien in den weiten Gefilden der Kirche verschwunden.
»Ich habe meine Schwestern seit der Zeit bei unseren Verwandten in Escalona nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, wo Domitila sich aufhält und ob sie noch lebt. Daß Marta in einem Konvent in Madrid ist, habe ich vor zwei Jahren erfahren. Ich träume davon, sie eines Tages zu besuchen.«
Jona erzählte auch ein wenig über sich selbst. Er berichtete ihm, daß er nach seiner Zeit als Gefängnisjunge in Ciudad Real Lehrling gewesen sei, zuerst bei dem Waffenschmied Manuel Fierro und dann bei dem Arzt Nuño Fierro, worauf er schließlich zum Medicus von Saragossa geworden
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