Der Medicus von Saragossa
beizubringen, so wie Meir es ihm beigebracht hatte. Und das wollte Eleasar auch jetzt tun, als Jona ihn beim Kriegspielen mit Steinen und Zweigen im Schatten des Hauses fand, doch Jona schüttelte den Kopf.
»Gehst du zum Fluß?« fragte Eleasar. »Soll ich mitkommen?« »Es gibt noch Arbeit«, sagte Jona und ahmte dabei unbewußt seinen Vater nach. Dann nahm er den Kleinen mit in die Werkstatt. Die beiden saßen in einer Ecke und polierten Silber, als David Mendoza und Rabbi Jose Ortega in die Werkstatt kamen.
»Was gibt es Neues?« fragte Helkias, und Señor Mendoza schüttelte den Kopf. Er war ein kräftiger Mann mittleren Alters mit Zahnlücken und schlechter Haut. Von Beruf war er Baumeister.
»Nichts Gutes, Helkias. Wir können nicht mehr ungefährdet durch die Stadt gehen.«
Drei Monate zuvor hatte die Inquisition fünf Juden und sechs Konvertiten hinrichten lassen. Man hatte sie beschuldigt, vor elf Jahren Hexerei betrieben zu haben, bei der sie angeblich eine gestohlene Hostie und das Herz eines zuvor gekreuzigten christlichen Jungen benutzt hatten, um alle guten Christen mit Wahnsinn zu belegen. Obwohl der Junge nie identifiziert werden konnte – kein christliches Kind war je als vermißt gemeldet worden! -, gestanden einige der Beschuldigten unter hochnotpeinlicher Befragung Einzelheiten des angeblichen Verbrechens, und alle waren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, einschließlich der Abbildungen von weiteren drei der Verurteilten, die vor dem Autodafe gestorben waren. »Einige beten bereits zu dem ›Märtyrer‹-Kind. Ihr Haß verpestet die Luft«, sagte Mendoza bedrückt.
»Wir müssen Ihre Majestäten um Ihren fortdauernden Schutz anflehen«, sagte Rabbi Ortega. Der Rabbi war klein und mager, ein Kranz weißer Locken umrahmte seinen Kopf. So mancher schmunzelte, wenn er mit der großen und schweren Tora-Rolle durch die Synagoge schwankte, damit die Gemeindemitglieder sie küssen oder berühren konnten. Dennoch wurde er von fast allen hoch geachtet. Jetzt war Mendoza allerdings anderer Meinung als er. »Der König ist ebensosehr Mann wie König, fähig zu Freundschaft und Mitgefühl, aber die Königin Isabella hat sich in letzter Zeit gegen uns gewandt. Sie wurde in Abgeschiedenheit von Mönchen aufgezogen, die ihren Geist geformt haben. Tomas de Torquemada, der Generalinquisitor, möge er das Zeitliche segnen, war in Isabellas Kindheit ihr Beichtvater, und er hat großen Einfluß auf sie.« Mendoza schüttelte den Kopf. »Ich fürchte die Tage, die uns bevorstehen.«
»Wir müssen fest im Glauben sein, David, mein Freund«, entgegnete Rabbi Ortega. »Wir müssen in die Synagoge gehen und gemeinsam beten. Der Herr wird unser Rufen hören.«
Die beiden Jungen hielten im Polieren inne. Eleasar war erschrocken über die Anspannung in den Gesichtern der Erwachsenen und die unüberhörbare Furcht in ihren Stimmen. »Was hat das zu bedeuten?« flüsterte er Jona zu.
»Später. Ich erklär dir das alles später«, flüsterte Jona zurück, obwohl er sich gar nicht sicher war, ob er wirklich verstand, worum es ging.
Am nächsten Morgen erschien ein bewaffneter Offizier auf dem Stadtplatz von Toledo. Er wurde begleitet von drei Herolden, zwei städtischen Beamten und zwei Männern des Vogts, die ebenfalls Waffen trugen, und er verlas eine Proklamation, die sämtliche Juden davon in Kenntnis setzte, daß sie trotz ihrer langen Geschichte in Spanien das Land binnen drei Monaten verlassen müßten. Bereits 1483 hatte die Königin alle Juden aus Andalusien vertrieben. Jetzt zwang man sie, jede Region des spanischen Königreichs zu verlassen – Kastilien, Leon, Aragõn, Galicien, die baskischen Provinzen, Valencia, das Fürstentum Katalonien, das Lehen Vizcaya und die Inseln Sardinien, Sizilien, Mallorca und Menorca.
Das Edikt wurde an eine Wand genagelt. Rabbi Ortega schrieb es ab mit einer Hand, die so zitterte, daß er Schwierigkeiten hatte, einige Wörter zu entziffern, als er sie in einer eilends einberufenen Zusammenkunft des Rats der Dreißig vorlas.
»Allen Juden und Jüdinnen, gleich welchen Alters, die in unseren besagten Königreichen und Ländereien leben, wohnen oder verweilen... ist es bei Todesstrafe verboten, sich zu erdreisten, hierher oder in irgendeinen Teil des Reiches zurückzukehren, um sich hier aufzuhalten, sei es als Bewohner oder Reisende oder auf sonst eine Art... Und wir befehlen und verbieten jedem in unserem besagten Königreich, es zu wagen, öffentlich oder geheim
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