Der Medicus von Saragossa
einander an.
Und doch mußten alle irgendwohin gehen, und die Leute begannen, Pläne zu schmieden.
Aaron Toledano, ein stämmiger, bedächtig sprechender Mann, kam ins Haus seines Bruders, und er und Helkias berieten sich stundenlang. Jona hörte ihnen zu und versuchte zu begreifen.
Als alles gesagt war, blieben nur noch drei mögliche Ziele übrig. Im Norden das Königreich Navarra. Im Westen Portugal. Im Osten die Küste, von wo aus die Überfahrt in entferntere Länder möglich war.
Doch binnen weniger Tage traf eine Nachricht ein, die ihre Entscheidungsmöglichkeiten erneut einschränkte.
Als Aaron diesmal zu Helkias kam, war sein Bauerngesicht düster vor Sorge. »Navarra kommt nicht in Frage. Es nimmt nur Juden auf, die sich zur Anbetung Christi bekehrt haben.«
Kaum eine Woche später erfuhren sie, daß Don Vidal ben Benveniste de la Cavalleria, der Mann, der Aragóns Goldmünzen und Kastiliens Währung geprägt hatte, nach Portugal geritten war und dort für die spanischen Juden die Erlaubnis zur Einreise erhalten hatte. König Johann II. von Portugal sah darin eine günstige Gelegenheit und verfügte, daß sein Schatzamt von jedem einreisenden Juden einen Dukaten Steuer und ein Viertel der in sein Königreich gebrachten Ware verlangen sollte. Als Gegenleistung würde den Juden gestattet, sechs Monate zu bleiben.
Aaron schüttelte empört den Kopf. »Ich traue dem nicht. Meiner Meinung nach wird er uns am Ende weniger Gerechtigkeit widerfahren lassen, als der spanische Thron es getan hat.«
Helkias stimmte ihm zu. Und somit blieb nur die Küste übrig, wo sie sich einschiffen würden.
Helkias war besonnen und sanft, ein großer Mann. Meir war kleiner und stämmiger gewesen, wie Aaron, und Eleasar zeigte alle Anlagen für einen ähnlichen Wuchs. Jona war größer gebaut, wie sein Vater, den er mit ebensoviel Ehrfurcht wie Liebe betrachtete.
»Wohin werden wir denn segeln, Abba?«
»Ich weiß es nicht. Wir gehen dorthin, wo es viele Schiffe gibt, wahrscheinlich in den Hafen von Valencia. Dann werden wir sehen, welche Schiffe verfügbar sind und was für ein Ziel sie haben. Wir müssen darauf vertrauen, daß der Allmächtige uns den Weg zeigt und uns hilft, eine weise Entscheidung zu treffen.« Er sah Jona an. »Hast du Angst, mein Sohn?«
Jona suchte nach einer Antwort, aber es wollte ihm keine über die Lippen kommen.
»Angst zu haben ist keine Schande, mein Sohn. Es ist nur klug, sich einzugestehen, daß Reisen voller Gefahren ist. Aber wir sind drei große und starke Männer – Aaron und du und ich. Wir drei werden Eleasar und deine Tante Juana beschützen können.«
Jona freute sich, daß sein Vater ihn als Mann betrachtete. Es war, als hätte Helkias seine Gedanken gelesen. »Ich weiß, daß du in diesen letzten Jahren die Pflichten eines Mannes übernommen hast«, sagte er leise. »Und du sollst wissen, daß auch anderen dein Wesen und dein Verhalten aufgefallen sind. Schon mehrfach sind Väter von Töchtern an mich herangetreten, die alt genug sind, um unter dem Brauthimmel zu stehen.«
»Du hast schon über eine Heirat gesprochen?« fragte Jona.
»Noch nicht. Nicht in dieser Zeit. Aber sobald wir unsere neue Heimat erreicht haben, wird es Zeit sein, die dortigen Juden kennenzulernen und eine gute Partie zu arrangieren. Was du sicher begrüßen wirst.«
»Ja«, gab Jona zu, und sein Vater lachte.
»Glaubst du vielleicht, ich war nie jung? Ich weiß noch genau, wie das ist.«
»Eleasar wird sehr neidisch sein. Er wird auch eine Frau wollen«, sagte Jona, und nun lachten sie beide. »Abba, ich gehe ohne Angst überallhin, solange du nur bei mir bist.«
»Auch ich habe mit dir keine Angst. Mit dir nicht. Denn der Herr wird bei uns sein.«
Der Gedanke ans Heiraten war ein neues Element in Jonas Leben. In all dem Tumult war sein Geist verwirrt, und sein Körper hatte sich verändert. Nachts träumte er von Frauen, und inmitten aller Unsicherheiten und Gefahren tagträumte er von seiner langjährigen Freundin Lucia Martin. Als die beiden noch neugierige Kinder waren, hatten sie bei mehreren Gelegenheiten ausführlich die Nacktheit des anderen erforscht. Jetzt konnte man sehen, daß Lucia unter ihrer Kleidung allmählich zur Frau reifte, und neuerdings stand eine unbekannte Verlegenheit zwischen ihnen.
Alles veränderte sich, und trotz aller Ängste und Befürchtungen freute sich Jona darauf, endlich in die Ferne zu reisen. Er stellte sich das Leben an einem neuen Ort vor, eine Art von
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