Der Medicus von Saragossa
Kohle von ihrer Kochstelle zu holen, und als sie mit dem Kohlestückchen in einem kleinen Blecheimer zurückkehrte, hatte er bereits für jeden vier kleine Forellen gefangen und ausgenommen. Für das Feuer brach er trockene Äste von den Bäumen, und bald darauf aßen sie das süße, angekohlte Forellenfleisch mit ihren Händen und leckten sich danach die Finger sauber.
Zur Siesta legte er sich dicht neben sie. Während sie langsam eindöste, war sie sich seines ruhigen Atmens, des Hebens und Senkens seiner Brust bewußt. Als sie aufwachte, saß er nahe bei ihr, ein großer, stiller Mann, der über sie wachte.
Jeden Tag gingen sie miteinander spazieren. Die Dorfbewohner gewöhnten sich an ihren Anblick, wie sie, ins Gespräch vertieft oder in freundschaftlichem Schweigen, nebeneinanderher schlenderten. Am Donnerstag vormittag lud sie ihn in ihr Haus ein, um ihm ein Mittagessen zu kochen, und es war, als hätte sie eine unsichtbare Grenze überschritten. Auf dem Weg dorthin fing sie an, von der Vergangenheit zu sprechen. Ohne Einzelheiten zu nennen, erzählte sie ihm, daß ihre Ehe mit Abram Montelvan schwierig und unglücklich gewesen sei. Sie erzählte ihm, was sie noch von ihrer Mutter, ihren Großeltern und ihrer Tante Ines wußte. »Ines war noch mehr eine Mutter für mich als Felipa. Eine von beiden zu verlieren wäre eine Katastrophe gewesen, aber sie starben beide, und dann auch noch mein Großvater und meine geliebte Großmutter Suleika.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Erzählt mir von Eurer Familie«, sagte sie.
Er erzählte ihr furchterregende Geschichten. Von seiner Mutter, die an einer Krankheit gestorben war. Von einem ermordeten älteren Bruder und von einem Vater, der von einem judenhassenden Pöbel erschlagen worden war. Von einem jüngeren Bruder, den man ihm entrissen hatte.
»Schon vor langer Zeit habe ich mich mit dem Verlust derer abgefunden, die tot sind. Viel schwerer fällt es mir jedoch, meinen Bruder Eleasar nicht dauernd zu betrauern, weil ich tief in mir drinnen spüre, daß er noch am Leben ist. Wenn es so ist, dann ist er inzwischen ein erwachsener Mann, aber wo auf dieser weiten Welt lebt er? Er ist so gründlich aus meinem Leben verschwunden wie die anderen. Ich weiß, daß er lebt, aber ich werde ihn nie wiedersehen, und das ist kaum zu ertragen.«
Die Männer, die den Graben aushoben, arbeiteten gerade an einer Stelle dicht bei Adrianas Haus und jetzt sahen sie zu, wie dieser Mann und diese Frau, abwechselnd redend und zuhörend, dicht nebeneinander an ihnen vorbeigingen.
Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, wollte Adriana ihm sagen, er solle sich in die Wohnstube setzen, aber ihre Worte erstarben ihr im Mund, denn sie hatten sich unbewußt einander zugewandt, und er küßte ihr Gesicht. Kurz darauf erwiderte sie seine Küsse, und ihre Münder und ihre Körper berührten sich.
Sie war verwirrt von ihrer gegenseitigen Leidenschaft, doch als er erst ihren Rock und dann ihr Untergewand anhob, bekam sie es mit der Angst. Sie wollte fliehen, als sie seine Hand spürte. Das muß etwas sein, was alle Männer tun, nicht nur Abram Montelvan, dachte sie voller Entsetzen und Abscheu. Doch während sein Mund ihr mit sanften Küssen huldigte, sprach seine Hand zu ihr, und es war anders. Liebevoll. Und eine Wärme stieg in ihr auf und kroch ihr als köstliche Schwäche in die Glieder, bis sie auf kraftlose Knie niedersank. Auch er sank auf die Knie und küßte und streichelte sie weiter.
Von draußen kam die Stimme eines der Männer, der einem anderen weiter weg etwas zurief: »Nein, nein. Du mußt die verdammten Steine wieder auf den Damm legen. Ja, wieder auf den Damm, sonst hält er dem Wasser nicht stand.«
Im Haus lagen Adriana und Jona halb angezogen beieinander, und die Binsen auf dem Boden unter ihnen raschelten und knisterten.
Als sie sich ihm darbot, war alles ganz einfach. Er hatte nicht Abrams Schwierigkeiten, er hatte überhaupt keine Schwierigkeiten, na ja, ein Arzt, dachte sie verwegen... Sie wußte, es war schwärzeste Sünde, dies für den freudigsten Augenblick ihres Lebens zu halten, aber dieser Gedanke, jeder Gedanke entfloh ihr, als sie plötzlich wieder Furcht beschlich. Denn etwas nie Gekanntes geschah mit ihr. Sie meinte den Tod herannahen zu spüren. O Gott, bitte, flehte sie, aufs wunderbarste lebendig bis zum Ende, als ihre ganze Welt zu zittern und zu schwanken begann, und mit beiden Händen klammerte sie sich an Jona Toledano, um nicht
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