Der Medicus von Saragossa
von seiner Entdeckung zu erzählen. In jeder anderen Hinsicht schien er jedoch von seiner Krankheit genesen zu sein; er wirkte wach und bei Kräften, und sein Appetit sowohl auf Essen wie auf Wein war auf erstaunliche Art zurückgekehrt.
Jonas Befürchtung, daß Vicente ihm keine Ruhe lassen würde, wenn er nicht darauf einging, wurde immer stärker.
So kam es, daß die beiden am darauffolgenden Sonntag morgen die Landbrücke überquerten, die Gibraltar mit Spanien verband. Auf dem Festland angekommen, wanderten sie eine halbe Stunde nach Osten, bis Vicente die Hand hob.
»Wir sind da.«
Jona sah nichts anderes als einen einsamen Flecken sandiger Erde, aus dem sich zahlreiche flache Granitfelsen erhoben. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken, und doch folgte er Vicente, der über die Felsgebilde kletterte, als wäre er keinen Tag krank gewesen.
Schließlich fand Vicente dicht am Pfad die Felsen, nach denen er Ausschau gehalten hatte, und Jona sah, daß sich genau in der Mitte der Gruppe ein breiter Spalt öffnete. Eine Felsplatte überragte schräg abfallend die Öffnung. Zu sehen war sie nur, wenn man direkt darüber stand.
Vicente hatte in einem Metallkästchen ein glühendes Kohlestück mitgebracht, und Jona blies nun auf die Kohle und entzündete daran zwei Kerzenstummel.
Regenwasser wurde von der Felsrampe, die ein Stückchen weiter hinten im Sandboden endete, an der Öffnung vorbeigeleitet.
Die Höhle, die sich unter den Felsen befand, war trocken und etwa so groß wie Mingos Höhle auf dem Sacromonte. Sie endete in einem schmalen Spalt, der offensichtlich eine Verbindung zur Oberfläche hatte, denn Jona spürte einen Luftzug.
»Schau«, sagte Vicente.
Im flackernden Licht sah Jona ein Skelett. Die Knochen des Oberkörpers schienen noch unversehrt, aber die Knochen der Beine und Füße waren ein Stückchen weggezerrt worden, und als Jona sich mit der Kerze über sie kniete, sah er, daß ein Tier sie angenagt hatte. Von den Kleidern, die den Körper bedeckt hatten, waren nur noch Fetzen vorhanden, die im Umkreis verstreut lagen. Jona vermutete, daß das Tuch von Tieren gefressen worden war, die das Salz des Schweißes angelockt hatte.
»Und da!«
Es war ein schlichter, aus Ästen errichteter Altar. Davor standen drei irdene Töpfe. Ihr Inhalt war längst gefressen worden, vermutlich von demselben Lebewesen, das die Knochen angenagt hatte.
»Opfergaben«, sagte Jona. »Vielleicht für eine heidnische Gottheit.«
»Nein«, sagte Vicente. Er ging mit seiner Kerze an die gegenüberliegende Wand, an der ein großes Kreuz lehnte.
Dann beleuchtete er den Fels neben dem Kreuz, und Jona sah, daß dort das Symbol der frühesten Christenheit, das Zeichen des Fisches, eingeritzt war.
»Wann hast du das gefunden?« fragte Jona, als sie zur Schmiede zurückkehrten.
»Vielleicht einen Monat nach deiner Ankunft. Eines Tages ergab es sich, daß ich eine Flasche Wein in meinem Besitz fand...«
»Du hast sie in deinem Besitz gefunden?«
»Ich habe sie aus der Schenke gestohlen, als Bernaldez gerade beschäftigt war. Aber dazu müssen mich die Engel verleitet haben, denn als ich mit der Flasche wegging, um sie ungestört trinken zu können, wurden meine Schritte zu diesem Ort geleitet.«
»Und was willst du mit diesem Wissen machen?«
»Es gibt Leute, die für heilige Reliquien viel Geld bezahlen. Ich möchte, daß du mit ihnen verhandelst. Du mußt den besten Preis herausschlagen.«
»Nein, Vicente.«
»Ich werde dich natürlich gut dafür bezahlen.«
»Nein, Vicente.«
Ein gerissenes Funkeln blitzte in Vicentes Augen auf. »Siehst du, genau deshalb glaube ich, daß du erfolgreich verhandeln wirst. Nun gut. Du sollst die Hälfte von allem haben. Eine ganze Hälfte.«
»Ich handle nicht mit dir. Die Männer, die Reliquien kaufen und verkaufen, sind böse Schlangen. Ich an deiner Stelle würde in die Kirche im Dorf gehen und den Priester – wie heißt er gleich wieder?«
»Padre Vasquez.«
»Ja. Ich würde Padre Vasquez hierherführen und ihn bestimmen lassen, ob diese Überreste tatsächlich die eines Heiligen sind.«
»Nein!« Vicente wirkte plötzlich wieder fiebrig, sein Gesicht war von Zorn gerötet. »Gott hat meine Schritte zu dem Heiligen gelenkt. Gott hat sich überlegt: ›Bis auf seine Schwäche für starke Getränke ist Vicente kein übler Kerl. Ich will ihm Glück bringen, damit er seine Tage in Bequemlichkeit beenden kann.‹« »Es ist deine Entscheidung, Vicente. Aber ich werde mich
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