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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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Er geizte eisern mit diesen Informationen, befürchtete natürlich mit Recht, daß bei weiterer Verbreitung das Schlupfloch in Gefahr geriete. Ich würde mich nicht wundern, wenn er sich im Schauspielhaus durch den Kohlenkeller einschleuste. Drinnen fiel es nicht auf, ob dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Zuschauer das Stehplatzparkett bevölkerten, und erfahrungsgemäß war regelmäßig irgendwo ein Platz aus rätselhaften Gründen frei, und den erspähte der Meister immer als erster.«
    Bei jenem, sich später als für den Meister schicksalsschwer herausstellenden Theaterabend waren außer der schönen Helene Romberg (in transparentem Tuch, großblättriger Blumendruck verwischte das Nötigste), der Russin, dem Göttlichen Giselher und dem Assistenten Dr. Freudmann die Doktoranden Weimerer und Gutlehner, noch ein paar entfernter bekannte Kommilitonen, Carlone und selbstverständlich auch der Meister und ich in der Vorstellung. Das ganze Rudel strömte dann ins bewußte feinere Kaffeehaus, besetzte einen größeren Tisch und redete, was eben bei solchen Gelegenheiten kreuz und quer geredet wird: über die eben gesehene Aufführung in speziellem und in generellem Sinn sowie über Gott und die Welt.
    Langsam leerte sich das Kaffeehaus. Der Göttliche Giselher hielt einen seiner beliebten Vorträge. Wenn ich mich recht erinnere, und ich erinnere mich an den Abend sehr gut, redete er ausgreifend und erschöpfend über die Funktionen der Harnsäure bei Mensch und Tier. Ein Mediziner war nicht dabei, so daß die Authentizität der Darstellung ungetrübt blieb.
    Später bog der Gesprächsfluß in das Land der Musik ab, und die schöne Helene Romberg erklärte, daß sie die Werke gewisser Komponisten aus ihr unerklärlichen Gründen »nicht riechen« könne. Sie wisse genau, welche. Sie »rieche« sie beim ersten Ton.
    »Welche?«
    »Max Reger«, sagte sie, »Anton Bruckner und Hugo Wolf.«
    »Und warum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Auch später noch dachte ich lang darüber nach. Was fehlte der schönen Helene Romberg bei diesen, gerade bei diesen doch wohl hoch zu achtenden Meistern?
    Ja, spürte die hocherotische Helene an den dreien etwas Eunuchisches? Womöglich, betrachtet man deren Lebensläufe genauer, mit Recht? War ihre oft geäußerte Vorliebe für Berlioz auf dessen vielleicht für so eine Frau spürbare Erotik zurückzuführen? So etwas hat die Musikpsychologie auch noch nicht erforscht.
    Der Kreis im Café wurde kleiner, Carlone, die Romberg, Weimerer, der Meister und ich blieben. Es ging gegen Mitternacht. Von den anderen Tischen waren nur noch wenige besetzt. Weimerer war ein sehr ernster Mensch. Humor war nicht die erste Eigenschaft, die einem einfiel, wenn man an ihn dachte. Er promovierte über etwas in der Richtung: Die Affinität der Kölner und Schlettstadter Traktate zur Musica enchiriadis , wobei ich für die genaue Formulierung nicht die Hand ins Feuer legen kann. Sein musikalischer Hörgenuß hörte – etwas übertrieben ausgedrückt – bei Perotinus auf († um 1200, wenn’s wahr ist), von unten her gerechnet, wohlgemerkt. Wenn er seinem Ohr neuere Musik gestattete, dann – was ich als bedenkenswertes Phänomen betrachtete – die Linie Berlioz – Wagner – Neue Wiener Schule. Allenfalls, allenfalls kam eine isorhythmische Motette in Frage und vielleicht Gesualdo, der damals gerade aus der Versenkung der Archive in der – zumindest spezielleren – Konzertpraxis auftauchte. Als Carlone, weil irgendwie die Rede darauf kam, die Lustige Witwe erwähnte und als in ihrer Art meisterlich nannte, wandte sich Weimerer angeekelt ab. Selbst des Meisters Hinweis darauf, daß Schönberg nachweislich ein großer Verehrer des Walzerkönigs Johann Strauß gewesen sei, ließ Weimerer nicht gelten, wurde kämpferisch:
    »Geschmacklosigkeiten! Musikalische Schamlosigkeiten!«
    Es war nur noch ein Tisch außer dem unseren besetzt. Ein älterer Herr, der den Blick aus seinem kantigen Gesicht in ein Glas mit Rotwein versenkt hatte, war neben uns der einzige verbliebene Gast.
    »Ein Unsinn«, sagte ich, »das eine gegen das andere auszuspielen. Brahms gegen Wagner, früher Gluck gegen Piccini, den man schon kaum mehr kennt …«
    Da sprach der Meister den bemerkenswerten Satz: »Meine Lieblingsmusik ist immer die, die ich grad höre.«
    Die Kellnerin räumte weiter hinten schon ungeduldig die Stühle auf die Tische.
    »Zahlen«, riefen wir. »Ist schon erledigt«, sagte die Kellnerin.
    – ? –
    Sie

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