Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
ausgekratzt worden. Die Kluft über uns, mal enger, dann wieder sechs bis sieben Lachter breit, führt über fünfzig Lachter zum Eibelschroffen hinauf. Das flackernde Licht der blakenden, in Mannshöhe an den Wänden steckenden Kienspäne reicht gerade aus, uns hier unten den Weg zum neuen Schacht und Stollen zu weisen. In der Höhe verliert sich die gewaltige Spalte im Dunkel, während das flimmernde Licht der Grubenlampen auf die Wände und Felszacken tanzende Schatten wirft.
Die fünf Lachter breite Sohle, auf der ich stehe, ist mit Erz versetzt. Wir haben den weiteren Verlauf der Erzgänge, die sich hier in die Tiefe ziehen, aufgefunden und hoffen auf einen reichen Abbau ohne große zusätzliche Schwierigkeiten.
Linker Hand, keine dreißig Schritt vor mir, ein hell ausgeleuchteter Schacht am Ostende dieses Verhaues. Senkrecht fällt der Schacht in die Tiefe, hinunter in den Teil des Abbaus, in dem wir ein neues, gewaltiges Erzlager vermuten.
An seinem Rand vier Knappen, von denen zwei die hochgestemmten, vollen Wasserkübel in Empfang nehmen und hinter sich auf die Sohle ausgießen, wo wahre Bäche dem Gefälle zum Sigmund-Erbstollen folgend davongurgeln. Die anderen zwei Knappen befördern die leeren Kübel an einem Seil wieder in die Tiefe.
Die ledernen Kübel werden genauso weitergereicht wie früher vorne im Schrägschacht zu den Tiefen Bauen, den Stollen unter den Wassern des Inn, ehe das große Pumprad, unsere berühmte Wasserkunst, eingebaut wurde.
Wie nasse Ratten stehen sie, einer über dem anderen, mit dem Rücken gegen die Leitern gelehnt vom Schachtsumpf herauf bis zur Sohle des Schachtreviers Raber-Liegendbaue. Bei der gebotenen Eile vergießen sie genügend Wasser, auch wenn die Kübel und Kannen sich nach oben verjüngen. Das Wasser trieft auf die tiefer stehenden Knappen und Häuer herab, durchnäßt in Minuten auch das beste Lederzeug.
»Glück und Heil, Herr Schiener.«
Über dem Rand des Abstiegs erscheint der Kopf des »Bergschrats« Peter Gstein. Sein schwarzer Haarschopf besteht aus unzähligen Wirbeln, die seine breite Stirn verdecken, danach folgt eine schmale Nase zwischen blauen wachen Augen, dann ein voller schwarzer Bart.
Mit sicherem Schritt schwingt er sich über das Ende der Leiter - klein, stämmig, mit schweren Schultern, naß bis auf die Haut. Wir schütteln uns die Hände.
»Gibt es Schwierigkeiten, Peter?«
»Wasser!«
Ich zucke mit den Schultern. »Jetzt bei der Schneeschmelze auf den Bergen …«
Doch der Bergschrat schüttelt energisch den Kopf:
»Schaut es Euch selber an, Schiener. Das ist nicht nur Schmelzwasser. Das ist etwas anderes! Etwas Übles!«
Wir klettern zusammen die Leitern hinunter, vorüber an den Wasserträgern, stehen schließlich hüfttief im eiskalten Wasser am Ende des Stollens vor Ort.
Hier ruht die Arbeit.
Ich ziehe fragend die Augenbraue hoch.
Peter Gstein klopft mit dem Berghammer leicht gegen den Felsen.
Es bröckelt, bröselt.
»Schiefer! Alles Bruch und Dreck!«
Niemand liebt die schwere Arbeit in dem harten Dolomit, der die Erzgänge führt. Aber wenn wir etwas fürchten, dann den weichen Schiefer. Er bröckelt, bröselt, schiebt in Platten unkontrolliert nach und ist naß wie ein Schwamm.
»Der Herr Siegmund Fugger meint, das Erz gehe hinter dieser Schicht mit Sicherheit weiter«, stellt Gstein fest.
»Und Ihr?« frage ich.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich’s weiß … Das Erzband zieht sich von Nordosten hier nach Südwesten herunter. Nach Westen und Osten ist nichts mehr, das ist sicher. Und jetzt haben wir die Wahl: Entweder wir brechen weiter nach Nordosten durch den Schiefer und hoffen das Beste – oder wir müssen diesen Abbau aufgeben.«
Wir sehen uns nachdenklich an.
»Was würdet Ihr tun, Peter?« frage ich schließlich.
Der Bergschrat ist nicht nur ein erfahrener Schichtführer. Er kennt den Berg trotz seiner jungen Jahre wie kaum ein anderer. Hat dazu ein Wissen um die Gesteine und ihre Eigenheiten wie wenige und würde es gewiß in ein paar Jahren zum Schiener, wohl auch einmal zum Bergmeister bringen. Ich halte viel von seinem Rat, mehr jedenfalls als vom Wissen unserer hohen Herren Marx und Siegmund Fugger.
Um uns hat sich inzwischen ein Grüppchen von Häuern und Knappen versammelt. Ich erkenne die knorrige Gestalt des ehrlichen Korbi Brandhuber, den eifrigen Kunz Weidinger, der mit 17 Jahren erst letzte Woche seine Häuerprüfung abgelegt hat, den ewigen Spaßvogel Nandl Kunzmaier, das
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