Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Sorgengesicht des Jos Ammer, der eine Schicht nach der anderen schiebt, um die hungrigen Mäuler seiner acht Kinder voll zu bekommen, daneben Adelwart Demmer, den vierschrötigen Vormann der Wasserleute.
Gstein läßt sich Zeit mit der Antwort:
»Also: Ich würde meine Finger von dem Schiefer lassen.«
»Den Abbau hier aufgeben?« vergewissere ich mich.
Ein Aufstöhnen geht durch die Reihen der Knappen. Der Schichtmeister nickt langsam: »Besser als ersaufen.«
»Wegen des Wassers im Schiefer?«
»Ich meine wegen des Wassers, das hinter dem Schiefer kommt. Schaut Euch die Platte an: sie ist schräg zu uns geneigt, zieht sich über unsere Köpfe nach oben weiter.
Die Situation ist die: Der Schiefer hält das Wasser zurück – und wir stehen hier auf der trockenen Seite.«
»Heilige Scheiße!« knurrt Adelwart Demmer. »Wenn du das trocken nennst, Peter, wie sieht dann naß eigentlich aus?«
Gstein fährt fort: »Sollte dahinter eine Wasserkaverne sitzen, dann saufen wir so schnell ab, daß wir nicht einmal mehr Zeit haben, das Kreuzzeichen zu schlagen!«
»Und wenn wir den Schiefer nicht durchschlagen und den Abbau hier aufgeben, hängt uns der Herr Marx Fugger eigenhändig am höchsten Galgen an den Eiern auf«, stellt Nandl Kunzmaier mit schiefem Grinsen fest.
»Bis wir wieder – falls überhaupt – solch ein Vorkommen finden, können Jahre vergehen«, klagt Jos Ammer entsetzt. »Und was wird dann aus unserem Lohn?«
»Dabei hab’ ich erst zu Lichtmeß den Hutmann Karl Gerdolf mit zwanzig Dukaten geschmiert, damit ich hier arbeiten kann«, murrt Karl Viehbauer.
»Du hast was getan, Viehbauer? Du weiß doch ganz genau, daß derlei strengstens verboten ist …«
Der grauhaarige Häuer zuckt mit den Schultern. »Natürlich weiß ich’s. Aber die guten Plätze bekommst du nun einmal nur, wenn du den Gerdolf schmierst. Ist doch wahr! Ich bin lange genug anständig geblieben, hab’ mich an die Berggesetze gehalten – und dafür endlose Gänge durch totes Gestein gekratzt!«
Die Häuer murmeln zustimmend.
»Was machen wir mit dem verdammten Schiefer? Eure Entscheidung, Schiener!«
»Meine Entscheidung …«, wiederhole ich gedankenversunken.
Letztlich die Entscheidung des Bergmeisters Erasmus Reisländer, gewiß. Aber es ist mein Revier, also liegt ein Gutteil der Verantwortung auch bei mir …
Stellen wir den Abbau ein, ist bei den Herren Fugger der Teufel los. Lassen wir weitermachen, und es geschieht ein Unglück – daran wage ich nicht zu denken …
Ich muß mit unserem Bergmeister sprechen.
Für den Augenblick bestimme ich: »Bändigt vor allem das Wasser. Aber: Keiner rührt an den Schiefer!«
Ich bin bereits auf dem Weg nach draußen, als das Dröhnen der Campana, der großen Glocke, das Schichtende einläutet. Minuten später höre ich das Hämmern und Schlagen der Schichtführer am Holzwerk der Schächte, die das Zeichen in die Tiefe weitergeben. Obwohl ich schon seit Jahren im Berg arbeite, ist es auch für mich immer wieder ein eindrucksvolles Erlebnis, wenn mehrere hundert Männer in den Schächten und Stollen das Signal mit ihren Fäusteln durch den Dolomit des Falkensteins schicken, indem sie an die Felswände klopfen. Das dumpfe Klopfen wird durch den Berg verstärkt, als ob er antworten wolle. Auch der entfernteste Knappe im Stollenlabyrinth weiß, daß in diesem Augenblick die Frau, die Mutter, die Schwester oder der Bruder für ihn im Knappendorf die Mahlzeit auf den Ofen setzt.
Aber auch die Grubenlampen sind für viele eine verläßliche Uhr, nämlich dann, wenn der eingefüllte Unschlitt zu Ende geht. Aus den zahllosen, verwinkelten Gängen, die in den großen Sigmund-Hauptstollen münden, tauchen die kleinen Lichter der Bergleute auf. Durchnäßt, verdreckt, verschwitzt schlurft die Kette der Männer dahin, platscht durch das Wasser, das jetzt selbst die erhöhten Bretterböden in den Stollen Schwall um Schwall knöcheltief überflutet. Den pulsierenden Schwall verursacht die stierlederne Bulge der großen Lasser-Maschine, die alle sechseinhalb Minuten ihre 1400 Liter aus den Unteren Bauen in den nach draußen führenden Stollen entleert.
»Glück und Heil, Herr Schiener«, grüßen die Männer, die mich erkennen. Andere stapfen grußlos vorbei oder warten in den Stollenmündungen, bis sie eine Lücke in der Kette der Vorbeiziehenden finden, um sich selber einzureihen: zu müde, zu gleichgültig, zu ausgelaugt, um auf andere noch zu achten.
Meine eigenen Gedanken
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