Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
nicht so recht entschließen können den armen Bruder Gloucesters, den Herzog von Clarence, in einem Faß voll Malvasier zu ersäufen. Als Rivers, Vaughan und Grey unschuldig zur Hinrichtung abgeführt werden, begleitet sie höhnischer Applaus, und echter Jubel schlägt Richard entgegen, als er sich endlich auf den Thron setzen kann, zu dem er sich hinaufgemordet hat.
In einer der kurzen Pausen werfe ich einen schnellen Blick hinter mich in unsere Loge: George Clifford ist wie ich völlig in das Geschehen auf der Bühne versunken, ebenso Susan Pocklington, die ihren Kopf über meine Schulter reckt, und auch zwei der Huren verfolgen das Spiel mit weit aufgerissenen Augen. Phineas Pett und die dritte Hure haben sich ungeniert über das Büfett hergemacht. Und Sir Walter Raleigh – von ihm ist nur der Rücken und der nackte Hintern zu sehen, der eifrig zwischen den um seine Hüften geschlungenen Beinen der anderen maskierten Dame auf und nieder wackelt.
Der Umschwung des Bühnenspiels setzt behutsam, zunächst fast unmerklich ein. Doch je mehr Richard nun von seiner diabolischen Klugheit verliert, aus Mißtrauen einen nach dem anderen seiner Getreuen, allen voran den Herzog von Buckingham, beseitigen und ermorden läßt, um so mehr neigt sich das immer wieder mit Klatschen und lauten Zwischenrufen bekundete Wohlwollen seinem Gegenspieler, dem Earl of Richmond zu. Nicht, daß dieser Richmond eine farbige Gestalt wäre, gewiß nicht – darin kann es allenfalls die alte Königinwitwe, die Fluchkanone Margaretha, mit Richard aufnehmen -, aber Richmonds offen zur Schau gestellte Anständigkeit, Ehrlichkeit und Treue gewinnt Zuspruch in dem Maß, wie sich der König zu einem bösartigen Irren, dem nun wahrlich niemand mehr trauen kann, entwickelt.
Soeben ist mit fliegenden Fahnen, Trompetenklang und Trommelschlag die Armee Richmonds aufgezogen, und der gute Earl versammelt seine Männer:
»Ihr Waffenbrüder und geliebten Feunde,
Zermalmet unterm Joch der Tyrannei!
Der greulich blutige, räuberische Eber, der
Eur’ warmes Blut säuft wie Spülicht, eure Leiber
Ausgeweidet sich zum Trog: dies wüste Schwein
Liegt jetzt in dieses Eilands Mittelpunkt.
Frisch auf in Gottes Namen, mut’ge Freunde,
Die Frucht beständigen Friedens einzuernten
Durch eine blut’ge Probe scharfen Kriegs!«
In diesem Augenblick wird im Hintergrund unserer Loge die Tür heftig aufgerissen.
Clifford und ich drehen uns unwillig um – und erblicken Ysabel!
»Was machst du hier?« frage ich entgeistert und springe auf.
»Adam, Lord Cumberland, Ihr seid in höchster Gefahr! England ist in höchster Gefahr!«
»Was, was ist denn los?« mischt sich nun auch Raleigh ein, der stolpernd seine Hosen hochzuziehen versucht.
»Eine Verschwörung, ein Mordkomplott der Katholischen, angezettelt von Maria Stuart!« keucht meine Lebensgefährtin. »Ihr müßt fliehen! Sofort! Ihr müßt Euch in Sicherheit bringen!«
Ysabel zittert am ganzen Körper. Ich nehme sie in die Arme. Cumberland ist der einzige, der die Übersicht behält. Er hat seinen Hut auf einen der Stühle geworfen, den drei Huren zunächst einen Beutel mit Geld in die Hand gedrückt und sie zur Tür hinausgeschoben. Nun fragt er nach:
»Also noch einmal, und langsam bitte!«
»Über Margate habe ich eine Nachricht aus Paris erhalten, die unverzüglich und unter allen Umständen in die Hände Walsinghams gelangen muß:
›Die Königin von Schottland hat den Plan zur Ermordung Elizabeths sowie aller führenden Männer ihrer Regierung schriftlich gebilligt. Die Verschwörer werden am Abend des 19. Juli losschlagen und Maria Stuart befreien. Um den Einmarsch spanischer Hilfskontingente zu erleichtern, werden alle Werften, Arsenale und sonstigen kriegwichtigen Einrichtungen zerstörte.<
Gezeichnet ist die Nachricht von unserem Agenten Gifford in Paris.«
Wir starren uns betreten an.
»Wie hast du mich überhaupt gefunden?« frage ich Ysabel.
»Von Margate kam ich die Themse aufwärts über Deptford. Ich wußte, daß du bei der Kiellegung der A RK R ALEIGH bist. In Deptford erfuhr ich dann, daß ich dich hier finden würde …«
Drunten auf der Bühne liegt Richard in seinem Zelt:
»Das Licht brennt blau. Ist’s nicht um Mitternacht?
Mein schauderndes Gebein deckt kalter Schweiß.
Was fürchte ich denn? Mich selbst? Sonst ist hier niemand.
Richard liebt Richard: das heißt, ich bin ich.
Ist hier ein Mörder? Nein. - Ja, ich bin hier.«
Aufsteigende Geister all der Ermordeten
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