Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
wieder gehen können. Ich habe ihr einen Schlaftrunk gegeben.«
Wenigsten in diesem Punkt beruhigt, kehre ich in mein Zimmer zurück in der Erwartung, jeden Augenblick zu Walsingham gerufen zu werden. Doch ich warte vergeblich.
Cumberland verabschiedet sich.
Ich warte. Stunden und Stunden vergehen.
Es wird Mittag. Es wird Nachmittag.
Immer öfter blicke ich zur Tür, horche bei jedem Schritt auf dem Gang draußen auf.
Endlich beschließe ich, einen kleinen Spaziergang im Park zu machen, doch die Wachen lassen mich nicht hinaus. Es sei um meiner Sicherheit willen, sagen sie.
Von Zeit zu Zeit schleiche ich auf leisen Sohlen zu Ysabel hinüber, überzeuge mich, daß keine Verschlimmerung ihres Zustandes eingetreten ist, daß sie friedlich schläft.
Es wird Abend und schließlich Nacht. Die Tabletts mit dem Essen, die mir ins Zimmer gebracht werden, bleiben unberührt, nur dem Wein spreche ich im Laufe der Stunden immer kräftiger zu. Endlich lege ich mich auf das harte Bett und falle in einen unruhigen Schlaf.
Donnerstag,
der 21. Juli
Ich laufe in meinem Zimmer im Kreis wie ein gefangener Wolf im Käfig, als es an der Tür klopft.
Die Tür schwingt auf – und vor mir steht, in strahlend schneeige Seide gehüllt, ein schwarzes, perlenbesticktes Mäntelchen über der Schulter, einen Federbusch auf dem Hut höher als der Türstock, der Earl of Cumberland.
»Was ist eigentlich los? Seit zwei vollen Tagen sitze ich hier fest! Seit zwei vollen Tagen verlange ich, Walsingham zu sprechen. Seit zwei vollen Tagen werde ich in Barn Elms festgehalten, ohne jede Erklärung! Was, zum Teufel, geht hier vor?«
»Sachte, sachte!« bremst Cumberland. »Ihr habt Euch bitterlich beschwert, daß man nicht genug zu Eurem persönlichen Schutz getan hat, und jetzt, da man es tut, beschwert Ihr Euch wieder. Wie geht es denn der schönen Ysabel?«
»Sie schläft, und wenn man dem Arzt trauen darf, so heilen ihre Wunden zufriedenstellend. Was führt Euch zu mir?«
»Ich habe den Auftrag, Euch nach Greenwich zu begleiten.«
»Greenwich?«
»Zu dem Mann, der hinfort für einen wichtigen Teil Eurer ganz persönlichen Sicherheit sorgen wird.«
»Wenn meine persönliche Sicherheit so sehr gefährdet ist, daß man mich hier zwei Tage völlig von der Außenwelt abschneidet, weshalb kommt er dann nicht hierher?« murre ich.
»Weil Master Jacobe Halder zu niemandem kommt. Wer seinen speziellen Schutz sucht, der muß sich schon zu ihm bequemen – auch Grafen, Herzöge und sogar Könige …«
Zwei Stunden später, nach einer Fahrt themseabwärts und einem kurzen Weg parallel zum Fluß durch die Ortschaft, stets umringt von einer Schar bis an die Zähne bewaffneter Waliser, stehen wir vor einem breiten, zweistöckigen Gebäude, aus dessen hinterem Teil das rhythmische Schlagen von Hämmern auf Metall zu hören ist. Nachdem uns ein Bediensteter mißtrauisch durch ein winziges Schieberloch gemustert hat, werden wir eingelassen und in eine geräumige Stube mit dunkler Balkendecke geführt.
Wir warten. Endlich öffnet sich die Türe erneut und der Bedienstete kündigt an:
»Master Jacobe Halder, Erster Plattnermeister Ihrer Majestät!«
Die eintretende Erscheinung ist grotesk: Auf einem tonnenförmigen Torso mit langen, muskelbepackten Armen sitzt halslos ein Kopf, der in der oberen Hälfte so haarlos ist wie ein Ei und in der unteren Hälfte in einem wilden Bartgestrüpp verschwindet. Getragen wird das Ganze von dünnen, krummen Beinchen, die von einem laut kläffenden, kurzbeinigen, ebenfalls wild struppigen Stück Fell umwimmelt werden.
»Ja, der Herr Nachbar aus Tirol gibt sich auch amal die Ehre. Grüß Gott beinand! – Und du bist stad, Waggi. Stad bist, sag’ i’!‹‹
Meine seit Jahren nun an die englische Sprache gewöhnten Ohren brauchen einige Sekunden, ehe ich die Laute als breites Niederbayrisch identifiziere, während mir Master Jacobe – also eigentlich Jakob – Halder mit freundlich ausgestreckter Pratze entgegenschaukelt.
»Hockt’s Euch nieder!« Und auf den Ruf: »Kreszenz, a Bier!« stehen Augenblicke später drei schäumende Zinnkrüge auf dem massigen Eichentisch.
»Also, Prost mit anand!«
Ich nehme einen Schluck, ziehe die Augenbrauen erstaunt hoch und lasse einen zweiten, tiefen Zug folgen.
»Gel, des is’ was anders, als des labbrige englische Ale«, feixt Halder. »Original wie z’ Minga braut!«
Mit einem dritten, langen Zug leere ich den Krug mit dem so vertrauten, so lange entbehrten
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