Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
rasch aus unserem Blickfeld.
Dafür gerät Drake, oben an der Reling, wieder in meinen Gesichtskreis. An seinem Äußeren läßt sich für mich nichts entdecken, was ihn als etwas Höheres, Besonderes oder gar Schreckliches erscheinen ließe. Und doch ist seine Erscheinung bemerkenswert kraftvoll. Auf seiner Stirn scheint, obschon sie nur leicht gefurcht ist, das Siegel von Hunderten Toter aufgedrückt zu sein. Seine stechenden Augen sind wie Messer, in denen unruhige, heiße Gedanken leben.
»Kapitän Fenner!« ruft er mit Schärfe im Ton herunter. »Laßt für Sir Adam alles Notwendige besorgen, damit er die Reise auf dem Schiff übersteht«, und an mich direkt gerichtet. »Sir Adam, Ihr werdet morgen abend darüber Näheres erfahren.«
Augenblicklich überläuft mich das Gefühl, das ich abgelegt zu haben glaubte. Es ist das Gefühl, bei der die Seele schnell zur Ruine wird, wenn urplötzlich eine unsichtbare Macht den weiteren Weg bestimmt, ohne Wehr und Einspruch zuzulassen.
»Was ist los, Fenner? Was ist passiert? Wohin soll ich plötzlich mitsegeln?«
»Keine Sorge! Es ist alles bestens geplant. Ich freue mich sehr auf Eure Gesellschaft.«
»Ihr seid gut. Gesellschaft, Freude!? Was wird aus meiner Gießerei? Wer erledigt die Aufträge. Niemand weiß, wo ich bin …!«
»Es ist alles geordnet! Auch in Mayfield weiß man von Eurer Reise mit Drake auf dem Kurs nach Spanien.«
Ich muß erst schlucken, ehe ich ein Wort über die Lippen bringe:
»Nach Spanien? Was soll ich dort? Laßt mich augenblicklich zu Drake!«
»Wartet damit. Hört erst, was ich Euch zu sagen habe«, Fenner steht bolzengerade vor mir, faßt mich am Arm und führt mich den Kai entlang. »Sir Adam …«
»Laßt mich los!« reagiere ich ärgerlich.
Fenner bleibt stehen und beginnt erneut:
»Sir Adam … So faßt Euch. Es hat keinen Zweck sich dagegen aufzulehnen. Sir Francis Walsingham wünscht Eure Reise zusammen mit Drake!«
»Im Namen aller Teufel von London, was hat das zu bedeuten?«
Sekundenlang blickt mich Fenner wie erstarrt an, atmet tief durch und beginnt langsam mit großem Ernst:
»Einige unserer Vermutungen von gestern abend, Sir Adam, werden Wirklichkeit. Wir werden Spaniens Flotte in ihren eigenen Häfen vernichten!«
Dienstag,
der 28. März
Drake hat George Fenner und mich vorausgeschickt. So haben wir uns in das knapp einer Meile entfernte Buckland Monachorum auf den Weg gemacht.
»Wartet nicht auf mich«, gab er uns noch mit auf den Weg, »sondern stillt Euren ersten Hunger und Durst. Ich komme nach, sobald die Geschäfte es zulassen.« Wann, das ließ er offen.
Drakes Kneipe ist eng und klein. Der Gastraum ist vom Feuerschein des Kamins erfüllt. Auf blanken Brettern dampfen Pfannen mit erlesenem Fisch, Lammbraten und Geflügel. Sie lassen unseren Hunger anschwellen wie die Flut zur Klippe hin. Das Lachen umspielt wieder unsere Gesichter, da das Fleisch knusprig ist und Bacchus uns mit Wein, gezogen auf dem Festland, verwöhnt. Fenner sprüht vor guter Laune. Er kennt das Land, die Menschen, ihre Traditionen, unterhält mich prächtig mit Geschichten und Anekdoten.
»Wie findet Ihr Buckland?« fragt er mich unvermittelt.
»Imposant bis klösterlich!«
»Genau getroffen!« bemerkt er anerkennend. »Wißt Ihr«, fährt er fort. »Buckland ist genau das Gegenteil von dem, was das Königreich in den letzten Jahren beschäftigte. Keine Schlachten, keine Aufstände, keine Belagerungen, keine königlichen Besuche – nicht ein einziger Kanonendonner störte diesen ruhigen Ort.«
Fenner nimmt eine Lammkeule vom Stapel, knabbert sie genüßlich rundherum an, hebt seinen Becher, stößt an und erzählt weiter:
»Dafür hat das Kloster Vorjahren, es muß um ’82 gewesen sein, eine Posse erlebt, die ihresgleichen sucht. Angelpunkt sind die Wege von Grenville und Drake, die sich bis auf den heutigen Tag in auffallender Weise immer wieder kreuzten. Erst hoffte Richard Grenville Mitte der siebziger Jahre auf den Auftrag für eine große Entdeckungsreise. Doch Drake bekam statt dessen die Chance. Reich geworden durch die Plünderungen, luchste Drake gleich danach hintenherum Grenville über Strohmänner Buckland Abbey ab.«
Verdutzt stelle ich mein Glas ab:
»Daher also der Haß auf ihn. Hat ihm Grenville diese List verziehen?«
»Nie und nimmer! Er hätte an Drake nie verkauft. Und Drake wußte dies vorher schon. Seitdem weiß auch Grenville, daß Drake schon damals seine Einstellung ihm gegenüber durchschaute.
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