Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Hexenwerk. Hobys Ansichten von heute morgen werden dadurch mehr als bestätigt. Den Generalkapitän des andalusischen Geschwaders, Pedro de Valdés, hat Drake mit an Bord der R EVENGE genommen – ich denke weniger als Gefangenen, sondern mehr als lebende Trophäe. Er pflückt Ruhm und Anerkennung wie Kirschen vom Baum, während Howard und sein Stab emsig dabei sind, an den bisher ungelösten Problemen zu arbeiten: Wie sollte der Halbmond der Armada aufgebrochen werden? Wie sollten die mächtigen spanischen Kampfschiffe vernichtet werden, und wie sollten sie an der Vereinigung mit Parmas spanischen Truppen in den Niederlanden gehindert werden, damit eine Landung an den Küsten und Inseln Englands unmöglich wird?
Howard macht das einzig Richtige, indem er versucht, genaue Kenntnisse über die Feuerkraft des Feindes zu gewinnen, dem er gegenübersteht. Wie stark ist der Feind wirklich? Wie nahe können unsere Schiffe herangehen, ohne Gefahr zu laufen, schwer getroffen zu werden? Wie groß sind ihre Munitionsvorräte? Wie ist der Zustand der Mannschaften? Alles ist von Bedeutung, denn in allen taktischen Überlegungen ist eine Erkenntnis so wichtig wie die andere.
Das Beispiel der R OSARIO , an deren Steuerbordwand ich mich die letzten Fuß mühsam hinaufhangle, läßt mich jedoch an der oft beschworenen Gefährlichkeit unseres Feindes zweifeln. Warum hat Valdés sie nicht verteidigt? Warum hat er dieses prächtige Schiff nicht mit einem Hilfsmast segelfähig gemacht? Zeit hatte er genügend gehabt …
Hilfreiche Hände ziehen mich endlich über die Reling. Da sind Gesichter, dunkel, wild, lächelnd, freimütig, kühne Gesichter, Männer in braunen Kutten mit betenden Händen und schweren goldenen Kreuzen auf der Brust. Männer geduckt mit gesenkten Häuptern, andere groß und stolz und in erhabener Pose, manch einer wie ein Gänserich auf der Weide. Rechts von mir drängen sich die Offiziere. Farbenprächtig herausgeputzte Männer, die noch ihre Waffen tragen. Ein Goldknauf, der aus einer Scheide ragt, blitzt unaufhörlich wie eine Sternschnuppe. Dagegen sind die Gesichter, welche aus den Fenstern und Luken des Achter- und Bugkastells auf mich herabblicken, von grauer, ungesunder Farbe. Die Laute, die von dort oben an mein Ohr dringen, klingen mehr nach Verzweiflung und Bitten als nach Haß und Kampfesmut. Gleich darauf Erregung und heftige Wortkaskaden bei den Offizieren, deren Sinn ich nicht verstehe.
Neben ihnen das Prisenkommando unter Führung der Kapitäne John Fisher und Robert Bringborne, deren Schiffe M ARGARET AND J OHN und G IFT OF G OD wie kleine Beiboote die 1150 Tonnen große R OSARIO auf dem Wegin die Torbay eskortieren werden. Überrascht bin ich von der Anwesenheit Kapitän Jacob Whiddons, der die R OEBUCK , eine 300-Tonnen-Galeone aus Drakes Geschwader, befehligt. Sie liegt mit aufgegeiten Segeln etwas entfernt an der Backbordseite der R OSARIO . Hinter ihm stehen mehr als 30 englische Matrosen. Ein zusätzliches Prisenkommando von der R OEBUCK . Auch er hat es gewagt, sich unerlaubt vom Geschwader zu entfernen. Wie viele sind es noch, die im Kanal auf eigene Faust operieren?
Whiddon ist irritiert von meinem Erscheinen auf dem Deck der R OSARIO . Hinter mir hat Sir John Gilberte die Kuhl erstiegen, der vom Lordadmiral beauftragt ist, alles an Pulver und Kugeln sofort aus der R OSARIO ZU entfernen, sobald wir sie inspiziert haben. Gilberte, so mein Eindruck, steht mehr auf Drakes als auf des Lordadmirals Seite. Warum hat Howard gerade ihn, statt Clerke, mit dieser Mission beauftragt? Mein Verdacht bestätigt sich, da er sofort zu Kapitän Whiddon hinübereilt. Whiddon starrt zu mir herüber, während Gilberte ihm sein linkes Ohr vollflüstert.
Lieutenant Richard Tomson, erster Offizier unter Kapitän Fisher, überreicht mir die Inventarliste, auf der sich die Aufstellung der Kanonen befindet, welche die R OSARIO mit sich führt. Eine überaus wertvolle Tabelle, die mir die Überprüfung wesentlich erleichtert. Lieutenant Tomson ist ein Kaufmann mit beträchtlicher Mittelmeererfahrung, und er ist nach Auskunft von Kapitän Fisher durchweg vertraut mit Geschützen, zumindest was ihre allgemeinen Erscheinungsformen betrifft. Er wird mir zusammen mit Gilberte zur Seite stehen, wenn wir uns gleich unter Deck begeben werden.
»Gehen wir an die Arbeit!« gebe ich das Signal.
Fisher zieht mich unerwartet am Ärmel: »Nehmt besser vier Wachen mit.«
»Wozu?«
»Damit Ihr nicht unnötig belästigt
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