Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Drake, nicht Master Baker oder ich, nicht einmal die Königin. Auch nicht Ihr! Den Sieg über die Armada hat nicht einer errungen, und nicht zehn oder hundert. Den Sieg über die Armada hat ein Volk errungen – der walisische Hirte ebenso, dessen Schaffelle um die Wischer für die Kanonen gewickelt waren, wie die Bergmannsfrau aus Cornwall, deren Essen ihrem Mann die Kraft gab, nach dem Zinn zu schürfen, und der Holzfäller aus dem Weald, der die Buchen für Eure Öfen schlug. Der Sieg über die Armada ist der Sieg von ihnen allen!«
»Dann sollte man den Hirten, die Bergmannsfrau, den Holzfäller und all die anderen um der Gerechtigkeit willen auch zu Rittern schlagen!« empfehle ich.
»Ja, eigentlich sollte man das«, stimmt Walsingham nachdenklich zu. »Freilich ist ihnen Leben, Freiheit und Glück, das ihnen dieser Sieg geschenkt hat, Lohn genug …«
»Ich bewundere die Tugend der Bescheidenheit«, stelle ich fest und stehe auf. »Man sollte diese dann allerdings auch Drake, Hawkins, Frobisher und einigen weiteren Herren ans Herz legen, die sich nicht allein mit Leben, Freiheit und Glück für ihre Verdienste begnügen.«
Unter der Tür drehe ich mich noch einmal um:
»Vielleicht ist es unumgänglich, daß ein König, ein Staat Verdienste mit zwei-, drei-, viererlei Maß mißt. Er sollte dabei nur versuchen, die richtigen Leute mit dem richtigen Maß zu messen! Im übrigen: Sollte England wieder einmal in Gefahr sein, so werde ich keine Geschütze mehr gießen, sondern mich auf die Bewachung von Schafen und das Kochen stärkender Süpplein verlegen.«
Samstag,
der 23. November
Mein erster Gedanke nach dem Gespräch mit Walsingham war es gewesen, sofort Schloß Hampton Court zu stürmen und die Königin zur Rede zu stellen, sie zu fragen, ob sie ihre Ansprache und ihre Versprechungen von Tilbury bereits vergessen habe und ob das die Art sei, wie man mit den verdientesten Männern des Landes umspringen dürfe.
Doch als ich mich jetzt auf der dicht mit Booten und Barken bedeckten Themse dem weitläufigen Gebäudekomplex aus klinkerroten, bleigedeckten Häusern und Türmen, Loggien, Hallen und Galerien, Stallungen und Kapellen mit ihren zahllosen Türmchen, Erkern und Kaminen nähere, wird mir klar, daß mein zweiter Gedanke der richtige war, mich für diesen Besuch entsprechend vorzubereiten und auch zu kleiden. Aus den zahllosen Schlitzen meines in strengem, schwarzem Samt gefertigten Wamses quillt dunkelrote Seide wie Blut hervor. Die dicht gefältelte kleine Halskrause ist aus flandrischer Spitze, an meiner Seite hängt in betont schmuckloser Scheide mein Passauer Wolf, die Federn auf meinem Barett sind bronzefarben, um den Hals trage ich eine fein ziselierte, dreifache bronzene Kette. Bronze! Nicht Gold!
Als meine Barke am Landesteg anlegt, springe ich leichtfüßig an Land, winke meinen Ruderern zu warten und schreite mit weit ausholenden Schritten auf das Hauptportal zu.
»Sir Adam Dreyling zu Wagrain, Erster Geschützgießer Ihrer Majestät«, schnarre ich den diensthabenden Offizier an und passiere die doppelte Reihe der Brückenwächter, die rotberockten Hellebardiere mit dem königlichen ›ER‹ auf der Harnischbrust und die steinernen Ungeheuer mit den Wappenschilden in ihren Krallen dahinter: den goldenen Löwen Englands, den schwarzen Stier von Clarence, den Windhund der Tudors, den weißen Falken der Plantagenets, Königin Jane Seymours Panther, den roten Drachen von Wales.
Schwungvoll durchquere ich den ersten Hof und das zweite Tor, kann es mir dann nicht versagen einen Blick hinauf zu der astronomischen Uhr zu werfen über Anne Boleyn’s Gate, jenem Meisterwerk, das Nicholas Oursian 1540 für Henry VIII. schuf, und das nicht nur die Stunde, sondern auch Monat und Tag, die Mondphase und sogar den Gezeitenstand an der London Bridge anzeigt.
Ich fühle, die Königin ist in unmittelbarer Nähe. Doch wie soll ich jetzt zu ihr gelangen?
Ich lassen meinen Blick schweifen. Überall wimmelt es von Herren und Damen und Dienerschaft, die mit der unergründlichen Zielstrebigkeit von Ameisen umhereilen, doch nirgends ein bekanntes Gesicht.
Doch drüben, nahe dem Durchgang zum nächsten Hof, entdecke ich Sir Walter Raleigh im protzigen Harnisch eines Befehlshabers der königlichen Leibgarde. Lord Howard oder Sir William Winter wären mir lieber, aber Sir Walter mag den gewünschten Zweck durchaus erfüllen. Immerhin trägt auch sein Geschenk an die Königin, die A RK R OYAL ex A RK R ALEIGH ,
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