Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
erster Lichtstreif an unserem verdüsterten Horizont. Gael up Rhys kehrte nach Leutschau zurück. Fast zwei Wochen hatte er sich in der Nähe von Mogilany herumgetrieben und da er, dank seines musikalischen Gehörs, inzwischen ein wenig Polnisch verstand, einige Bemerkungen aufgeschnappt, die unter den Bewohnern des Ortes die Runde machten:
Im prächtigen Holzhaus Dreylings zu Mogilany herrschten keineswegs Glück und Freude. Seit Dreylings Hochzeit mit Klementyna Montelupich hing der Haussegen dort offenbar gründlich schief.
Die Meinung der Bevölkerung von Mogilany war geteilt. Einerseits jubelte man dem neuen Herrn zu, brachte er doch vermehrt Arbeit und Verdienstmöglichkeiten in den Ort, zahlte gut und stiftete reichlich für wohltätige Zwecke. Auf der anderen Seite bedauerte man die schöne junge Frau, die von Woche zu Woche blasser und verhärmter aussehe und die, nach allem was man so gehört habe, es doch wohl verdient hätte, auch seine rechtmäßige Gemahlin zu werden.
Gewiß, fragte man näher nach, so wußte niemand etwas Genaueres. Zu sehen bekam man weder den einen noch die andere viel, und wenn, dann eisern abgeschirmt hinter den breiten Rücken der Södermanländer. Und das Personal des Holzhauses war für die Klatschmäuler des Dorfes verbitternd verschwiegen. Doch in einem Dorf, wo jeder jedem in den Suppentopf zu gucken pflegt, formten sich ein paar gezischte Worte im Garten, ein ärgerlich zur Gießerei hinunterstapfender Herr, das Ausbleiben einer Bestellung des natürlich längst bekannten Lieblingsweines des Herrn, eine zugeschmetterte Tür nach und nach zu einem Gesamtbild, das der Wahrheit möglicherweise so fern nicht lag.
Da wir all unserer bisherigen Erfahrung nach ansonsten ohnehin keine Chance hatten, an Dreyling heranzukommen, beschloß ich, einen letzten Versuch zu wagen. Schlug er fehl, so blieb uns die Wahl entweder eines selbstmörderischen und vermutlich trotzdem vergeblichen Gewaltangriffs oder unverrichteter Dinge abzuziehen.
Am 7. Dezember brach ich, nur von Richard Bell und Gael up Rhys begleitet, nach Mogilany auf.
Dezember 1589
Am Nachmittag des 10. Dezembers, dem zweiten Adventsonntag, stand ich vor der Tür des Holzhauses in Mogilany. Am Vormittag, als die Dorfbewohner fast vollzählig in der Kirche versammelt waren, hatte ich Gael up Rhys mit einer Botschaft vorausgeschickt:
Ich bitte um freies Geleit für eine halbe Stunde. – William.
Die Antwort war ebenso kurz gewesen:
Freies Geleit zugesichert. – Ysabel.
Die Tür wurde von einem bärbeißigen Södermanländer geöffnet, der mich mißtrauisch beäugte. Unaufgefordert lieferte ich ihm meinen Degen ab, hob ich die Arme hoch, ließ mich auf versteckte Waffen durchsuchen. Mit einem Wink wurde ich in den Wohnraum im Erdgeschoß geleitet.
Ysabel saß hinter einem schweren Tisch verschanzt. Der Schwede ließ ostentativ die Tür einen Spalt offen, so daß ich seinen schweren, trappenden Schritt den Hausflur auf und nieder deutlich hören konnte. Ein Ton von Ysabel, das war klar, und er würde wie ein Orkan in das Zimmer brechen, um seine Herrin zu verteidigen. Und ebenso klar war mir, daß in den angrenzenden Räumen weitere Leibwächter auf der Lauer lagen. Damit hatte ich rechnen müssen.
Ich wandte mich Ysabel zu. Die Leute aus dem Dorf hatten recht gehabt: Sie sah blaß aus; um ihre Mundwinkel hatten sich scharfe Falten eingegraben.
»Nun, William, was willst du? Du hast um eine halbe Stunde gebeten, fünf Minuten davon hast du bereits mit Glotzen verbraucht.«
»Weshalb so feindselig, Ysabel?« fragte ich.
»Nicht unbedingt feindselig, nur vorsichtig!« gab sie zurück.
»Ich verstehe das«, räumte ich ein. »Aber ich versichere dir, dein Mißtrauen ist unbegründet! Gewiß. Sir Francis Walsingham hat geschäumt, als er von deinem Verrat erfuhr. Aber wenn du glaubst, er habe mich nun als Rächer nach Krakau geschickt, dann irrst du.«
Ysabel nickte:
»Ich sollte dir wahrscheinlich sogar glauben, William. Nicht einmal für eine Rache oder Strafe Walsinghams bin ich noch interessant genug … Nun gut, William, wenn du gesehen hast, was du sehen wolltest, dann geh und lasse mich in Frieden!«
Spontan trat ich einen Schritt auf sie zu, doch sofort herrschte sie mich an:
»Bleib stehen, wo du stehst!«
Der schwere Schritt auf dem Gang stockte, hielt vor der Tür.
»Ist ja gut, ist ja gut!« versuchte ich sie zu beruhigen.
Ysabel fixierte mich mit gerunzelten Brauen. »Deine Zeit ist fast um,
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