Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
drei andere saßen am Fenster eines Gasthauses, zwei hatten sich auf der Brücke postiert und ließen die Schnüre von Angeln ins vorbeiziehende Wasser der Weichsel hängen, der Rest schlenderte herum, fragte hier nach dem Preis einer Hutborte und dort nach einem Päckchen getrockneter Kräuter und an einem dritten Stand nach einer warmen, noch fast neuwertigen Kaninchenpelzmütze. Im bunten Gewirr und Gemisch an Trachten und Sprachen aus mindestens zwei Dutzend Ländern in und vor Kazimierz fiel keiner von ihnen auf.
Es begann zu dämmern, als ich Dreyling entdeckte, gehüllt in seinen dicken Fuchspelzmantel und tatsächlich nur von dem Diener Jakub begleitet, als er das Jüdische Tor passierte und etliche Dutzend Schritte weiter im Haus des Kaufmanns Wolf Poper verschwand.
Unauffällig zog ich meine Leute knapp vor der Brücke zusammen, Bell und Findler hielten sich mit den Pferden in einer kleinen Nebenstraße bereit. Dann warteten wir. Mit der nun schnell hereinbrechenden Dunkelheit begann sich die Menschenmenge zu verlaufen, die Geschäfte schlössen, die fliegenden Händler verschwanden von den Straßen in den wärmenden Schutz ihrer Häuser.
Fast zwei Stunden später erschien Dreyling endlich wieder unter dem Tor, rief ein paar freundliche Worte in die Wachstube hinein.
Vergnügt vor sich hin pfeifend schritt er auf die Brücke nach Krakau zu, während der Diener Jakub, unter einer schweren, flachen Last keuchend, hinter ihm drein trottete.
Als er noch knapp fünf Schritte entfernt war, trat ich aus dem Schatten auf die Straße:
»Ein frohes Fest, Sir Adam!«
Dreyling erstarrte. Im nächsten Augenblick traf ihn der Schlag eines von Gael up Rhys geschwungenen, mit Sand gefüllten Strumpfes am Kopf. Dreyling sackte zusammen, wurde von zwei Tirolern aufgefangen. Zwei andere packten Jakub, hielten ihm den Mund zu. Sein Paket fiel auf die Straße, Spiegelglas klirrte.
Findler und Bell eilten mit den Pferden heran. Dreyling wurde schnell und fachmännisch zu einem Bündel verschnürt, das Richard Bell quer über dem Sattel eines Pferdes verzurrte.
»Was machen wir mit ihm?« fragte Rhys und deutete auf den Diener. Doch Findler nahm mir die Antwort ab, stieß dem alten Mann die Ochsenzunge in den Leib. Jakub sackte ächzend zusammen und wurde im nächsten Augenblick auf einen Wink des Fronboten über das Brückengeländer gehievt, klatschte drunten ins Wasser der Weichsel. Gleich darauf klatschte es nochmals, als Gael up Rhys das Paket hinterdrein warf. Die Spuren der Entführung waren getilgt.
Sekunden später saßen wir alle im Sattel, galoppierten in die Nacht hinaus nach Süden, der Grenze entgegen. Das Pferd, auf dessen Rücken Adam Dreyling festgebunden war, führte ich selbst am langen Zügel mit – niemandem hätte ich es anvertraut!
30. Dezember 1589
Morgen ist Silvester. Morgen ist es auf die Stunde ein Jahr, daß wir in Mayfield Furnace gesessen hatten. Für Adam Dreyling hatte das Jahr damit begonnen, daß er seine Freunde verprellt, sich um Kopf und Kragen geredet hatte. Doch anstatt zu stürzen, stieg er auf. Statt ihn zu strafen, trug ihn das Schicksal empor. Was immer er anfaßte, es schien zu gelingen. Er glaubte, der Stütze seiner Freunde nicht mehr zu bedürfen, er stieg auf ihre Schultern, ihre Köpfe, schwebte frei über allen. Jetzt, zum Ende dieses Jahres sitzt er nur zwei Türen weiter in einem fensterlosen Kämmerchen, angekettet an sein Bett und scharf bewacht, hier im prachtvollen Thurzo-Palais in Neusohl.
Nach dem Gewaltritt von Krakau durch die Hohe Tatra zur Grenze waren wir nicht nach Leutschau zurückgekehrt, wo man sich vielleicht an uns erinnert hätte. Hier in Neusohl befanden wir uns mitten in Fugger-Territorium, denn vor etwa fünfzig Jahren hatte Jakob der Reiche fast alle Kupfer- und Silbergruben der Umgebung aufgekauft und mit seinem Freund Thurzo brüderlich geteilt. Hier konnten wir uns erholen und die Weiterreise nach Schwaz vorbereiten.
Ein Klopfen an der Tür riß mich aus meinen Gedanken. Gael up Rhys streckte den Kopf herein, meldete mir einen Besuch an. Einen Augenblick später stand der Besuch auch schon vor mir: Ysabel!
»Ich werde mit dir und Adam nach Schwaz kommen«, erklärte sie mir ohne Einleitung.
»Ysabel«, wehrte ich entsetzt ab, »es ist mitten im Winter! Der Ritt wird hart, und …«
»Ich bin auch mitten im Winter von Hamburg nach Krakau geritten«, schnitt sie mir das Wort ab.
»Warum willst du mit nach Schwaz? Reut es dich etwa, daß
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