Der Meister und Margarita
Ankömmling zu sorgen und dann unverzüglich ein warmes Essen aufzutragen. Um sich die Haare zu trocknen, sich umzukleiden, andere Schuhe anzulegen und überhaupt sich in Ordnung zu bringen, brauchte der Ankömmling sehr wenig Zeit, und bald erschien er in trockenen Sandalen, trockenem purpurrotem Militärumhang und mit geglättetem Haar wieder auf dem Balkon.
In der Zwischenzeit war die Sonne nach Jerschalaim zurückgekehrt und schickte nun, ehe sie im Mittelmeer versank, der dem Prokurator verhaßten Stadt letzte Abschiedsstrahlen zu und vergoldete die Balkonstufen. Die Fontäne hatte sich gänzlich belebt und sang mit voller Kraft, Tauben trippelten umher, gurrten, hüpften über abgebrochene Zweige und pickten im nassen Sand. Die rote Lache wurde aufgewischt, die Scherben weggeräumt, auf dem Tisch dampfte Fleisch.
"Ich erwarte die Befehle des Prokurators", sagte der Ankömmling, indes er auf den Tisch zutrat.
"Aber Sie werden nichts hören, bevor Sie sich gesetzt und Wein getrunken haben", antwortete Pilatus liebenswürdig und wies auf das zweite Ruhebett.
Der Ankömmling- legte sich nieder, der Diener schenkte ihm dunkelroten Wein' in die Schale. Ein anderer Diener beugte sich behutsam Pilatus über die Schulter und füllte auch dessen Schale. Danach entließ dieser die beiden Diener mit einer Geste. Während der Ankömmling trank und aß, nippte Pilatus zuweilen am Wein und beobachtete mit eingekniffenen Augen seinen Gast. Dieser war in mittleren Jahren, hatte ein sympathisches rundes und saÜberes Gesicht und eine fleischige Nase. Seine Haare waren von unbestimmter Farbe, doch sahen sie jetzt nach dem Trocknen heller aus. Die Nationalität war schwer zu bestimmen. Was sein Gesicht vor allem prägte, war wohl der Ausdruck von Gutmütigkeit, den übrigens die Augen störten, oder genauer gesagt, nicht die Augen, sondern die Art, einen Gesprächspartner anzusehen. Die für gewöhnlich kleinen Augen hielt der Ankömmling unter den sonderbar aussehenden, gleichsam geschwollenen Lidern verborgen. Dann funkelte in ihnen nur arglose Verschmitztheit. Man mußte annehmen, daß er Humor hatte. Manchmal aber riß er die Lider weit auf, so daß der funkelnde Humor aus den Lidspalten verschwand, und blickte seinen Gesprächspartner plötzlich starr an, als wolle er ein kaum erkennbares Fleckchen auf dessen Nase erspähen. Das dauerte nur einen Moment, dann senkten sich erneut die Lider, die Spalten verengten sich, und abermals leuchtete in ihnen ein gutmütiger und verschmitzter Verstand.
Der Ankömmling verschmähte auch eine zweite Schale Wein nicht, verzehrte mit Genuß einige Austern, kostete vom gekochten Gemüse und aß ein Stück Fleisch. Nachdem er sich gesättigt hatte, lobt'e er den Wein: "Ausgezeichnetes Gewächs, Prokurator, aber das ist wohl nicht Falerner?"
"Caecuba, dreißig Jahre alt", antwortete der Prokurator liebenswürdig.
Der Gast führte die Hand zum Herzen, wollte nichts mehr essen und erklärte, er sei satt. Da füllte Pilatus seine Schale, und der Gast tat desgleichen. Beide gössen ein wenig Wein in die Fleischschüssel, dann hob der Prokurator die seine und sagte laut: , "Für uns, für dich, Kaiser, Vater der Römer, bester und wertvollster aller Menschen!"
Danach wurden die Schalen geleert, die Afrikaner räumten die Speisen vom Tisch und ließen nur das Obst und die Weinkrüge stehen. Wieder entließ der Prokurator mit einer Geste die Diener und blieb mit seinem Gast allein unter der Kolonnade.
"Also", sagte Pilatus halblaut, "was können Sie mir über die Stimmung in dieser Stadt sagen?"
Unwillkürlich richtete er den Blick dahin, wo unterhalb der Gartenterrassen die Kolonnaden und die flachen Dächer in den letzten Sonnenstrahlen golden verglühten.
"Ich halte die Stimmung in Jerschalaim jetzt für zufriedenstellend, Prokurator", antwortete der Gast.
"Man kann also garantieren, daß keine Unruhen mehr drohen?" "Garantieren", antwortete der Gast und blickte den Prokurator herzlich an, "kann man nur für eines in der Welt — für die Macht des großen Kaisers."
"Mögen ihm die Götter ein langes Leben schenken!" griff Pilatus sofort auf. "Und allgemeinen Frieden!" Er schwieg einen Moment und fuhr dann fort: "Sie meinen also, man kann die Truppen jetzt abziehen?"
"Ich meine, die Kohorte der Blitzlegion kann abrücken", antwortete der Gast und fügte hinzu: "Es wäre gut, sie zum Abschied durch die Stadt defilieren zu lassen." "Ein sehr guter Gedanke", pflichtete der Prokurator
Weitere Kostenlose Bücher