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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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nicht nur unangenehm sein", antwortete der Gast schmunzelnd, "ich glaube sogar, Prokurator, das würde einen großen Skandal auslösen."
    "Ich bin derselben Meinung. Darum bitte ich Sie, dieser Sache nachzugehen, das heißt alle Maßnahmen zu treffen, um Judas aus Kirjath zu schützen."
    "Der Befehl des Hegemons wird ausgeführt", sagte Afranius, "doch ich muß den Hegemon beruhigen: der Plan der Bösewichter ist außerordentlich schwer auszuführen. Wenn man bedenkt .. ."
    Der Gast drehte sich um und fuhr dann fort: "Den Mann ausfindig machen, ihn erstechen, außerdem erfahren, wieviel er bekommen hat, dann das Geld dem Kaiphas zustellen, und das alles in einer Nacht? Heute?"
    "Nichtsdestoweniger wird man ihn heute nacht erstechen", beharrte Pilatus, "mein Vorgefühl sagt es mir, ich versichere es Ihnen! Es hat mich noch nie betrogen." Ein Krampf lief über sein Gesicht, und er rieb sich kurz die Hände. ,Jawohl", antwortete der Gast gehorsam, stand auf, streckte sich und fragte plötzlich rauh: "Man wird ihn also erstechen, Hegemon?"
    ,Ja", antwortete Pilatus, "und meine ganze Hoffnung gründet sich nur auf Ihre Verläßlichkeit, die alle Welt in Erstaunen setzt." Der Gast rückte den schweren Gürtel unterm Umhang zurecht und sagte:
    "Ich habe die Ehre, und ich wünsche Ihnen Freude und Gesundheit!"
    "Ach richtig", rief Pilatus leise, "das hätte ich beinah vergessen! Ich stehe ja in Ihrer Schuld!" Der Gast war verwundert. "Nein, Prokurator, Sie schulden mir nichts." "Warum denn nicht? Erinnern Sie sich, als ich in Jerschalaim einzog, die Menge der Bettler ... Ich wollte ihnen Geld zuwerfen und hatte keines bei mir, da haben Sie mir ausgeholfen." "Oh, Prokurator, das war doch wohl nur eine Bagatelle!" "Auch eine Bagatelle soll man nicht vergessen." Pilatus wandte sich um, griff nach dem Sessel hinter sich, holte unter dem Umhang einen Lederbeutel hervor und reichte ihn seinem Gast. Der nahm ihn mit einer Verbeugung entgegen und barg ihn unter seinem Umhang.
    "Ich erwarte Ihren Bericht von der Beerdigung, aber auch vom Ausgang der Sache mit Judas aus Kirjath noch heute nacht, Afranius", sprach Pilatus, "hören Sie, noch heute nacht. Die Wache bekommt Befehl, mich zu wecken, sobald Sie erscheinen. Ich erwarte Sie."
    "Ich habe die Ehre", sagte der Chef des Geheimdienstes, wandte sich ab und verließ den Balkon. Man hörte den nassen Sand unter seinen Füßen knirschen, dann klapperten seine Schritte über den Marmor zwischen den beiden Löwen, dann schnitt es seine Beine ab, dann den Rumpf, und endlich verschwand auch die Kapuze. Der Prokurator sah, daß die Sonne versunken und die Dämmerung angebrochen war.
26 Die Beerdigung
    Vielleicht war die Dämmerung auch der Grund, daß sich der Prokurator äußerlich jäh veränderte. Er schien zusehends zu altern, wurde krumm und machte überdies einen beunruhigten Eindruck. Einmal blickte er sich um und zuckte zusammen, als er auf der Lehne des leeren Sessels den Umhang liegen sah. Die Festnacht rückte näher, die abendlichen Schatten trieben ihr Spiel, und wahrscheinlich war es dem ermüdeten Prokurator so vorgekommen, als sitze jemand im leeren Sessel. Er leistete sich eine Anwandlung von Kleinmut und griff nach dem Umhang, ließ ihn aber liegen und lief auf dem Balkon hin und her, bald die Hände reibend, bald an den Tisch tretend und nach der Schale greifend, bald innehaltend und sinnlos das Mosaikpflaster anstarrend, als wolle er irgendwelche Schriftzeichen herauslesen.
    Schon zum zweitenmal am heutigen Tag befiel ihn Schwermut. Er rieb sich die Schläfe, in der von der morgendlichen Höllenqual nur eine dumpf schmerzende Erinnerung geblieben war, und suchte mühevoll zu ergründen, was die Ursache seiner Seelenpein war. Er begriff es auch bald, versuchte aber, sich selbst zu betrügen. Ihm war klar, daß er heute vormittag etwas Unwiderbringliches versäumt hatte und dies jetzt mit kleinen und nichtigen, vor allem aber verspäteten Taten korrigieren wollte. Sein Selbstbetrug bestand darin, daß er sich einreden wollte, seine jetzigen Taten seien nicht minder wichtig als das am Morgen gesprochene Urteil. Aber das gelang ihm sehr schlecht. Bei einer Wendung blieb er plötzlich stehen und stieß einen Pfiff aus. Als Antwort erscholl in der Dämmerung tiefes Gebell, und aus dem Garten kam ein mächtiger Hund mit spitzen Ohren, grauem Fell und einem Halsband mit Goldbeschlägen auf den Balkon gesprungen. "Banga, Banga", rief der Prokurator schwach. Der Hund stellte sich

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