Der Meister und Margarita
sicher sein, daß es keine gibt." Mit geneigtem Kopf hörte der Gast aufmerksam zu. "Um also jedwede Überraschung zu vermeiden", fuhr der Prokurator fort, "bitte ich Sie, unverzüglich und ohne jedes Aufsehen die Körper der drei Gerichteten vom Antlitz der Erde verschwinden zu lassen und sie geheim und in völliger Stille zu beerdigen, so daß nichts mehr von ihnen zu hören oder zu sehen sei."
"Ich gehorche, Hegemon", sagte der Gast, erhob sich und fuhr fort: "Angesichts der komplizierten und verantwortungsvollen Aufgabe gestatten Sie mir, mich sofort auf den Weg zu machen." "Nein, setzen Sie sich wieder", sagte Pilatus und hielt seinen Gast mit einer Handbewegung zurück, "ich habe noch zwei Fragen. Die erste — Ihre großen Verdienste bei der schwierigen Arbeit als Chef des Geheimdienstes beim Prokurator von Judäa geben mir die angenehme Möglichkeit, darüber nach Rom zu berichten."
Das Gesicht des Gastes lief rosig an, er stand auf, verbeugte sich vor dem Prokurator und sprach:
"Ich erfülle nur meine Pflicht im kaiserlichen Dienst." "Aber ich möchte Sie bitten", fuhr der Hegemon fort, "wenn man Ihnen eine Versetzung nebst Beförderung in Aussicht stellt, verzichten Sie darauf und bleiben hier. Ich möchte mich um keinen Preis von Ihnen trennen. Mag man Sie auf andere Weise ehren."
"Ich bin glücklich, unter Ihnen zu dienen, Hegemon."
"Das freut mich. Also, meine zweite Frage. Sie betrifft diesen . ..
wie heißt er gleich .. .Judas aus Kirjath."
Der Gast sandte dem Prokurator seinen Blick zu und löschte ihn sofort wieder, wie es sich geziemte.
"Man sagt", fuhr der Prokurator mit gedämpfter Stimme fort, "er habe Geld dafür bekommen, daß er diesen wahnsinnigen Philosophen so gastfreundlich bei sich aufnahm." "Er wird es bekommen", korrigierte der Chef des Geheimdienstes leise.
"Ist es eine große Summe?"
"Das kann niemand wissen, Hegemon."
"Selbst Sie nicht?" sagte der Hegemon, mit seiner Verwunderung ein Lob ausdrückend.
"Leider, selbst ich nicht", antwortete der Gast gelassen. "Aber daß er dieses Geld heute abend bekommen wird, weiß ich gewiß. Man wird ihn in den Palast des Kaiphas rufen." "Ach, dieser habgierige Greis aus Kirjath!" bemerkte der Prokurator lächelnd. "Er ist doch ein Greis?"
"Der Prokurator irrt nie, doch diesmal irrt er", antwortete der Gast liebenswürdig,,Judas aus Kirjath ist ein junger Mann."
"Was Sie sagen! Können Sie ihn mir charakterisieren? Ist er ein Fanatiker?"
"O nein, Prokurator."
"So. Noch etwas?"
"Er ist sehr schön."
"Und weiter? Hat er vielleicht eine Leidenschaft?"
"Es ist schwer, in dieser riesigen Stadt alle so genau zu kennen, Prokurator ..."
"O nein, nein, Afranius! Schmälern Sie Ihre Verdienste nicht." "Eine Leidenschaft hat er, Prokurator." Der Gast machte eine winzige Pause. "Die Leidenschaft fürs Geld." "Was treibt er?"
Afranius blickte hoch, dachte nach und antwortete: "Er arbeitet in der Wechslerbude bei einem Verwandten." "Ach, soso." Der Prokurator verstummte und sah sich um, ob niemand auf dem Balkon sei, dann sagte er leise: "Folgendes — ich habe heute eine Information bekommen, daß man ihn in dieser Nacht erstechen will."
Da warf der Gast seinen Blick auf den Prokurator und ließ ihn sogar ein Weilchen auf ihm ruhen, dann antwortete er: "Sie haben sich zu schmeichelhaft über mich geäußert, Prokurator. Ich glaube, ich verdiene nicht, daß Sie lobend über mich berichten. Ich habe diese Information nicht." "Sie sind höchsten Lohnes würdig", antwortete der Prokurator, "aber die Information habe ich dennoch." "Ich erlaube mir zu fragen, von wem." .
"Das möchte ich noch nicht sagen, zumal sie zufällig aus dunkler Quelle und unglaubwürdig ist. Aber ich bin verpflichtet, alles vorauszusehen. Das verlangt mein Amt von mir, und mehr als allem glaube ich meinem Vorgefühl, das mich noch niemals getrogen hat: Die Information besagt, daß einer der heimlichen Freunde von Ha-Nozri, empört über den ungeheuerlichen Verrat des Geldwechslers, mit seinen Spießgesellen Abrede getroffen hat, ihn heute nacht zu töten und das Geld, das er für den Verrat erhalten, dem Hohenpriester zuzustellen zusamt einem Zettel: ,Ich gebe das verfluchte Geld zurück.'"
Der Chef des Geheimdienstes warf keine überraschten Blicke mehr auf den Hegemon und hörte ihm nur noch mit gesenkten Lidern zu, Pilatus aber fuhr fort:
"Was meinen Sie, wird es dem Hohenpriester angenehm sein, in der Festnacht ein solches Geschenk zu bekommen?" "Es wird ihm
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