Der Meister und Margarita
angezündet, das vorfestliche Gedränge war noch sehr groß, und Afranius auf seinem Maultier verlor sich im Strom der Reiter und Fußgänger. Sein weiterer Weg ist unbekannt.
Die Frau, die Afranius mit "Nisa" angeredet hatte, kleidete sich, allein geblieben, in höchster Eile um. Doch obwohl sie Mühe hatte, die benötigten Sachen im dunklen Zimmer zu finden, zündete sie kein Licht an und rief auch nicht die Dienerin. Erst als sie fertig war und den Kopf mit einem dunklen Schleier verhüllt hatte, erklang im Häuschen ihre Stimme:
"Wenn jemand nach mir fragt, sag ihm, ich sei Enanta besuchen gegangen."
Aus der Dunkelheit kam knurrend die Stimme der alten Dienerin:
"Zu Enanta? Immer diese Enanta! Dein Mann hat dir doch verboten, sie zu besuchen! Eine Kupplerin ist sie, die Enanta! Deinem Mann sag ich's ..."
"Nun schweig schon", antwortete Nisa und glitt schattengleich aus dem Häuschen. Ihre Sandalen klapperten auf den Steinplatten des Hofes. Brummend schloß die Dienerin die Tür zur Terrasse. Nisa verließ ihr Haus.
Zur selben Zeit trat in einer anderen Gasse der Unterstadt, einer geknickten Gasse, die sich in Stufen zu einem der Stadtteiche hinabsenkte, aus der Pforte eines unansehnlichen Hauses, dessen kahle Wand an die Gasse grenzte, während die Fenster auf den Hof gingen, -ein junger Mann mit sorgfältig gestutztem Bärtchen. Er trug eine weiße Keffije, die ihm auf die Schulter fiel, einen neuen blauen Festtagstallit mit Troddeln am unteren Saum und nagelneue knarrende Sandalen. Der adlernasige Schönling, für das große Fest herausgeputzt, schritt munter aus, überholte die Passanten, die zum gemeinsamen Festschmaus heimeilten, und sah ein Fenster nach dem andern aufleuchten. Durch die Straße längs des Basars schritt er zum Palast des Hohenpriesters Kaiphas am Fuß des Tempelberges. Kurz darauf konnte man ihn ins Tor des Kaiphas-Palastes eintreten sehen. Abermals kurze Zeit später verließ er das Gebäude wieder.
Nach dem Besuch im Palast, in dem bereits Leuchter und Fackeln brannten und festliche Hast herrschte, schritt der junge Mann noch munterer, noch freudiger aus und eilte zurück in die Unterstadt. An der Ecke, wo die Straße auf den Basarplatz mündete, überholte ihn im Gedränge und Geschiebe tänzelnden Ganges eine grazile Frau, der ein schwarzer Schleier über die Augen fiel. Als sie an dem schönen jungen Mann vorbeikam, hob sie für einen Moment den Schleier und warf ihm einen Blick zu, verlangsamte jedoch nicht den Schritt, sondern beschleunigte ihn gar, als wollte sie sich vor ihm verbergen.
Der junge Mann bemerkte die Frau nicht nur, nein, er erkannte sie, und als er sie erkannte, zuckte er zusammen, blieb stehen, starrte ihr ungläubig auf den Rücken und stürzte ihr dann hinterher. Indem er fast einen Passanten umrannte, einen Krug in den Händen hielt, holte er sie ein und rief, vor Erregung keuchend : "Nisa!"
Die Frau drehte sich um und kniff die Augen ein, wobei ihr Gesicht kalten Ärger spiegelte, dann antwortete sie trocken auf griechisch:
"Ach, du bist es, Judas? Ich habe dich nicht gleich erkannt. Das ist übrigens nicht schlecht. Bei uns gilt das als Omen: der nicht Erkannte wird reich ..."
Judas, so aufgeregt, daß sein Herz hüpfte wie ein Vogel unter schwarzem Schleier, fragte abgerissen und im Flüsterton, damit es die Passanten nicht hörten: "Wohin gehst du, Nisa?"
"Warum willst du das wissen?" antwortete sie, ging langsamer und blickte Judas hochmütig an.
Judas' Stimme klang ganz kindlich, als er verwirrt flüsterte: "Wie denn ... Wir waren doch verabredet... Ich wollte zu dir kommen, du hast gesagt, du würdest den ganzen Abend zu Hause sein ..."
"Ach was", antwortete Nisa und schob launisch die Unterlippe vor, und Judas fand, daß ihr Gesicht, das schönste, das er je gesehen, dadurch noch schöner wurde, "ich habe mich gelangweilt. Ihr feiert euer Fest, und was mache ich inzwischen? Dasitzen und zuhören, wie du auf der Terrasse seufzt? Und obendrein Angst haben, daß die Dienerin es ihm erzählt? Nein, nein, ich habe mich entschlossen, aus der Stadt zu gehen, um den Nachtigallen zu lauschen."
"Aus der Stadt?" fragte Judas verwirrt. "Allein?" "Natürlich allein", antwortete Nisa.
"Erlaube mir, dich zu begleiten", bat Judas hastig. Seine Gedanken trübten sich, er vergaß alles auf der Welt und blickte flehend in Nisas blaue Augen, die jetzt schwarz erschienen. Nisa gab keine Antwort und beschleunigte den Schritt. "Warum sagst du nichts, Nisa?"
Weitere Kostenlose Bücher