Der Meister und Margarita
auf die Hinterpfoten, legte die vorderen seinem Herrn auf die Schultern, daß er ihn fast zu Boden warf, und leckte ihm die Wange. Der Prokurator setzte sich in den Sessel. Banga legte sich, mit hängender Zunge hechelnd, seinem Herrn zu Füßen, und die Freude in seinen Augen kam daher, daß das Gewitter vorbei war, das einzige auf der Welt, wovor der furchtlose Hund Angst hatte, und auch daher, daß er wieder bei dem Mann war, den er liebte, achtete und für den Mächtigsten der Welt ansah, für den Beherrscher aller Menschen, wodurch er auch sich für ein privilegiertes, höheres und besonderes Wesen hielt. Dennoch spürte der Hund, der in den abendlichen Garten blickte, daß seinen Herrn ein Unglück ereilt hatte. Darum stand er wieder auf, trat seitlich zu ihm und legte ihm die Vorderpfoten und den Kopf auf die Knie, wobei er den Umhang mit nassem Sand befleckte. Er wollte ihn wohl trösten und gemeinsam mit ihm dem Unheil begegnen. Das versuchte er sowohl mit den Augen auszudrücken, die seinen Herrn anschielten, als auch mit den wachsam gespitzten Ohren. So begrüßten sie beide, Hund und Mensch, die einander liebten, auf dem Balkon die festliche Nacht.
Währenddes hatte der Gast des Prokurators einen Haufen Besorgungen zu erledigen. Nachdem er die obere Gartenterrasse vor dem Balkon verlassen hatte, stieg er die Treppe hinab bis zur nächsten Terrasse, wandte sich nach rechts und ging zu den Kasernen innerhalb des Palastgeländes. Hier waren die beiden Zenturien einquartiert, die mit dem Prokurator zum Fest nach Jerschalaim gekommen waren, des weiteren der Geheimdienst des Prokurators, dessen Kommandant er war. Er hielt sich in den Kasernen höchstens zehn Minuten auf, aber nach Ablauf dieser Zeit fuhren drei Wagen vom Kasernenhof, beladen mit Schanzgerät und einem Faß Wasser. Den Wagen folgten fünfzehn Berittene in grauen Umhängen. Sie geleiteten die Fuhrwerke durchs hintere Tor aus dem Palastgebäude, schlugen die westliche Richtung ein, passierten das Tor in der Stadtmauer und erreichten über einen Pfad die Bethlehemstraße, der sie nach Norden folgten. Sie gelangten zur Kreuzung am Hebron-Tor und bewegten sich weiter über die Jaffastraße, auf der am Tag die Prozession mit den Verurteilten zur Richtstraße gezogen war. Jetzt war es bereits dunkel, und am Horizont erschien der Mond.
Bald nachdem die Wagen mit ihrer Begleitmannschaft aufgebrochen waren, ritt auch der Gast des Prokurators aus dem Palastgelände, nunmehr mit einem vertragenen dunklen Chiton bekleidet. Er verließ jedoch nicht die Stadt, sondern ritt in die Stadt hinein. Nach einiger Zeit konnte man ihn auf die Burg Antonia zureiten sehen, die nördlich in unmittelbarer Nähe des großen Tempels lag. In der Burg verweilte der Gast ebenfalls nur ganz kurz, dann verlor sich seine Spur im Gewirr der krummen Straßen in der Unterstadt. Jetzt ritt er auf einem Maulesel. Der Reiter kannte die Stadt gut und fand leicht die Straße, die sein Ziel war. Sie hieß Griechische Straße, denn hier gab es ein paar griechische Läden, darunter einen, in dem Teppiche feilgeboten wurden. Vor diesem Laden hielt der Gast sein Maultier an, stieg ab und band es am Torring fest. Der Laden war bereits geschlossen. Der Gast durchschritt die Pforte neben dem Ladeneingang und kam auf einen kleinen quadratischen Hof, den im Geviert Schuppen umstanden. Er bog um die Ecke und befand sich vor der efeuumrankten Steinterrasse des Wohnhauses. Hier sah er sich um. Das Häuschen und die Schuppen waren dunkel, man hatte noch kein Licht angezündet. "Nisa", rief der Gast leise.
Auf den Ruf hin knarrte eine Tür, und im abendlichen Halbdunkel erschien auf der Terrasse eine unverschleierte junge Frau. Sie beugte sich übers Geländer und schaute unruhig aus, wer gekommen sei. Als sie den Ankömmling erkannte, lächelte sie ihm freundlich zu, nickte und winkte. "Bist du allein?" fragte Afranius leise auf griechisch. ,Ja", flüsterte die Frau, "mein Mann ist am Morgen nach Cäsa-rea geritten." Die Frau blickte zurück zur Tür und fügte flüsternd hinzu: "Aber die Dienerin ist da." Dann winkte sie dem Gast, er möge eintreten. Afranius blickte sich um und stieg die Steinstufen hinauf. Er und die Frau verschwanden im Innern des Häuschens.
Bei ihr hielt sich Afranius nur ganz kurz auf, nicht länger als fünf Minuten. Danach, verließ er das Haus und die Terrasse, zog die Kapuze noch tiefer über die Augen und trat auf die Straße. In den Häusern wurden bereits die Leuchter
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