Der Meister und Margarita
fragte Judas kläglich und paßte sich ihrem Schritt an.
"Werde ich mich mit dir nicht langweilen?" fragte Nisa plötzlich und blieb stehen. Da verwirrten sich Judas' Gedanken vollends. "Nun gut", gab Nisa endlich nach, "gehen wir." "Aber wohin, wohin?"
"Warte .. . Gehen wir erst in diesen Hof und besprechen uns, ich habe Angst, ein Bekannter könnte mich sehen und meinem Mann erzählen, er habe mich mit' meinem Liebhaber äuf der Straße getroffen."
Judas und Nisa verschwanden vom Basar, sie tuschelten in der Hofeinfahrt.
"Geh zum Olivenhain", flüsterte Nisa, während sie den Schleier über die Augen zog und sich von einem Mann abwandte, der mit einem Eimer in der Hand die Einfahrt betrat, "nach Gethsemane, jenseits des Kidron, verstanden?" Ja, ja, ja..."
"Ich gehe voraus", fuhr Nisa fort, "aber laufe mir nicht zu dicht nach, halte Abstand. Ich gehe voraus ... Wenn du über den Fluß kommst... Du weißt, wo die Grotte ist?" "Ich weiß, ich weiß ..."
"Du gehst an der Ölpresse vorbei bergan und biegst zur Grotte ab. Dort werde ich sein. Aber wage nicht, mir sofort zu folgen. Hab Geduld und warte hier." Mit diesen Worten verließ Nisa die Einfahrt, als habe sie gar nicht mit Judas gesprochen. Judas stand noch ein Weilchen allein und versuchte, seine zerfahrenen Gedanken zu ordnen, darunter den, wie er den Angehörigen sein Fehlen beim Festmahl erklären solle. Er stand und suchte nach einer Ausrede, doch in seiner Erregung fiel ihm nichts Rechtes ein. Langsam verließ er die Einfahrt. Er nahm jetzt einen anderen Weg, nicht mehr der Unterstadt zu, sondern zurück zum Kaiphas-Palast. Seine Umgebung nahm er nur noch undeutlich wahr. Das Fest hatte Einkehr in die Stadt gehalten. Rund um Judas brannten Lichter in den Fenstern, und er hörte bereits die Festgebete. Verspätete trieben ihre Esel durch die Straßen, geißelten sie, schrien. Die Beine trugen Judas ganz von selbst, und er bemerkte gar nicht, wie die furchtbaren bemoosten Türme der Burg Antonia an ihm vorüberflogen, er hörte nicht das Horn in der Festung schmettern, er achtete nicht auf die berittene römische Patrouille mit ihrer Fackel, deren Licht seinen Weg unruhig erhellte. Als er an der Burg vorbei war, drehte er sich um und sah in schrecklicher Höhe überm Tempel die beiden gigantischen Fünflichter aufflammen. Aber auch sie nahm er nur undeutlich wahr. Ihm deuchte, über Jerschalaim wären zehn Ollampen von nie gesehener Größe aufgeleuchtet und wetteiferten mit der einzelnen Leuchte, die immer höher über der Stadt aufstieg — dem Mond. Judas hatte für nichts mehr Sinn, er eilte dem Gethsemane-Tor zu, um so schnell wie möglich die Stadt zu verlassen. Zuzeiten kam es ihm vor, als blinke inmitten der Rücken und Gesichter vor ihm das tänzelnde Figür-chen und zöge ihn hinter sich her. Doch das war eine Täuschung. Judas wußte, daß Nisa weit voraus war. Er lief an den Wechslerbuden vorbei und gelangte endlich ans Gethsemane-Tor. Hier mußte er, fiebernd vor Ungeduld, warten. Kamele zogen in die Stadt ein, dann kam eine syrische Militärpatrouille, die Judas in Gedanken verwünschte ... Aber alles nimmt ein Ende. Schon war der ungeduldige Judas außerhalb der Stadtmauer. Linker Hand erblickte er einen kleinen Friedhof und daneben etliche gestreifte Pilgerzelte. Nachdem er die staubige, vom Mondlicht beschienene Straße überquert hatte, eilte er zum Kidron-Strom, um auf die andere Seite zu gelangen. Leise murmelte das Wasser zu seinen Füßen. Von Stein zu Stein springend, erreichte er das Gethsemane-Ufer und sah zu seiner großen Freude die Straße unter den Gärten menschenleer. Unweit erkannte er bereits das halbzerfallene Tor des Olivenhains.
Nach der stickigen Stadt genoß Judas den berauschenden Duft der Frühlingsnacht. Aus dem Garten, von den Gethsemane-Wie-sen her, flutete eine Welle von Myrten- und Akazienduft über die Einfriedung.
Das Tor war unbewacht, niemand war zu sehen, und bald darauf lief Judas bereits unter dem geheimnisvollen Schatten der mächtigen, ausladenden Ölbäume. Die Straße führte bergan. Judas folgte ihr schwer atmend und geriet von Zeit zu Zeit aus dem Dunkel auf die gemusterten Mondlichtteppiche, die ihn an die Teppiche im Laden von Nisas eifersüchtigem Mann erinnerten. Einige Zeit darauf erblickte Judas linker Hand auf einer Lichtung die Ölpresse mit ihrem schweren Steinrad und einen Haufen Fässer. Im Garten war niemand, die Arbeit war bei Sonnenuntergang eingestellt worden, und Judas vernahm
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