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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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es irgendjemandem auffällt. Wir werden nie erfahren, wie viele Morde tatsächlich unter dem Deckmantel von Kriegshandlungen begangen wurden.«
    »Wir könnten es also mit jemandem zu tun haben, der erst seit kurzer Zeit im Land ist«, sagte Rizzoli. »Mit einem Kosovo-Flüchtling.«
    »Das ist eine Möglichkeit«, bestätigte Dean.
    »Eine Möglichkeit, von der Sie von Anfang an wussten.«
    »Ja.« Seine Antwort kam ohne Zögern.
    »Sie haben wesentliche Informationen zurückgehalten. Sie haben seelenruhig zugesehen, wie wir vom Ermittlungsteam wie die Idioten im Kreis herumgelaufen sind.«
    »Ich habe Ihnen die Möglichkeit gegeben, zu Ihren eigenen Schlussfolgerungen zu gelangen.«
    »Ja, aber ohne vollständige Kenntnis der Fakten.« Sie deutete auf die Fotos. »Das hier hätte uns entscheidend weiterhelfen können.«
    Dean und Conway tauschten Blicke. Dann sagte Conway: »Ich fürchte, es gibt noch mehr, was wir Ihnen nicht gesagt haben.«
    »Noch mehr?«
    Dean griff in die Mappe und nahm ein weiteres Tatortfoto heraus. Obwohl Rizzoli glaubte, auf dieses vierte Leichenbild vorbereitet zu sein, traf sie der Anblick doch unerwartet heftig. Sie sah einen jungen Mann mit blonden Haaren und einem dünnen Oberlippenbart. Er schien mehr aus Sehnen als aus Muskeln zu bestehen; auf der mageren Brust zeichneten sich die Rippen einzeln ab, und die Schultergelenke sprangen vor wie bleiche Knäufe. Sie konnte deutlich erkennen, dass seine Züge die eines Sterbenden waren – die Gesichtsmuskeln zu einer Maske des Entsetzens erstarrt.
    »Dieses Opfer wurde am neunundzwanzigsten Oktober letzten Jahres gefunden«, sagte Dean. »Die Leiche der Frau blieb verschwunden.«
    Sie schluckte und wandte den Blick vom Gesicht des Opfers ab. »Wieder Kosovo?«, fragte sie.
    »Nein. Fayetteville, North Carolina.«
    Sie starrte ihn entgeistert an. Und sie wich seinem Blick auch nicht aus, als ihr die Zornesröte ins Gesicht zu steigen begann. »Wie viele Fälle gibt es denn noch, von denen Sie mir nichts erzählt haben? Jetzt sagen Sie mir endlich, wie viele es insgesamt sind!«
    »Das sind alle, von denen wir wissen.«
    »Soll das heißen, es könnte noch weitere geben?«
    »Möglich ist es. Aber wir haben keinen Zugang zu den entsprechenden Informationen.«
    Sie sah ihn ungläubig an. »Das FBI hat keinen Zugang?«
    »Was Agent Dean damit sagen will«, warf Conway ein, »ist, dass es Fälle außerhalb unserer Zuständigkeit geben könnte. In Ländern, wo es keine allgemein zugänglichen Daten über Verbrechen gibt. Vergessen Sie nicht, dass wir hier von Kriegsgebieten sprechen. Von Gebieten, in denen politische Umwälzungen im Gang sind. Gegenden, die für unseren Täter besonders attraktiv sein müssen. Wo er sich so richtig zu Hause fühlen würde.«
    Ein Killer, der sich frei zwischen den Kontinenten bewegt. Dessen Jagdrevier Landesgrenzen überschreitet. Sie dachte an all das, was sie über den Dominator in Erfahrung gebracht hatte. Die Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der er seine Opfer überwältigte. Sein Drang, die Nähe von Leichen zu suchen. Die Tatsache, dass er ein Rambomesser benutzte. Und die Fasern – olivgrüner Fallschirmstoff. Sie spürte, wie die beiden Männer sie beobachteten, während sie verarbeitete, was Conway gerade gesagt hatte. Sie stellten sie auf die Probe; sie wollten sehen, ob sie ihre Erwartungen erfüllte.
    Ihr Blick ging wieder zu dem letzten der Fotos auf dem Couchtisch. »Sie sagten, dieser Mord habe sich in Fayetteville ereignet.«
    »Ja«, bestätigte Dean.
    »In der Nähe ist eine Militärbasis, nicht wahr?«
    »Fort Bragg. Das liegt etwa fünfzehn Kilometer nordwestlich von Fayetteville.«
    »Wie viele Soldaten sind dort stationiert?«
    »Ungefähr einundvierzigtausend Aktive. Fort Bragg ist der Sitz des 18. Luftlandekorps, der 82. Luftlandedivision und des Sondereinsatzkommandos der Armee.« Die Tatsache, dass Dean ihre Frage so ohne jedes Zögern beantwortete, verriet ihr, dass er diese Informationen für relevant hielt – dass er die Daten schon vorher parat gehabt hatte.
    »Deshalb haben Sie mich also im Dunkeln tappen lassen, nicht wahr? Wir haben es mit jemandem zu tun, der Erfahrung mit Kampfeinsätzen hat. Jemandem, der fürs Töten bezahlt wird.«
    »Wir haben ebenso sehr im Dunkeln getappt wie Sie.«
    Dean beugte sich vor. Sein Gesicht war jetzt so nahe an ihrem, dass sie geradezu gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Conway und alles andere im Zimmer schwand aus ihrem Blickfeld.

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