Der Meister
in Gjakovë, Kosovo.
Sie griff nach den beiden anderen Pathologieordnern und schlug sofort die Ortsangaben nach.
Pejë, Kosovo.
Djakovica, Kosovo.
»Die Autopsien wurden im Feld durchgeführt«, sagte Dean. »Bisweilen unter sehr primitiven Bedingungen. Zelte, Laternen als einzige Lichtquellen. Kein fließendes Wasser. Und so viele Leichen zu bearbeiten, dass wir nicht mehr nachkamen.«
»Es handelte sich um Ermittlungen über Kriegsverbrechen«, sagte sie.
Er nickte. »Ich gehörte dem ersten FBI-Team an, das im Juni 1999 dort eintraf. Wir handelten im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, kurz ICTY genannt. Bei dieser ersten Mission wurden fünfundsechzig von uns entsandt. Unsere Aufgabe war das Sammeln und Sichern von Beweismaterial am Tatort eines der größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Wir stellten ballistische Spuren an den Schauplätzen von Massakern sicher. Wir exhumierten und obduzierten über einhundert albanische Opfer, und wahrscheinlich haben wir noch Hunderte weitere übersehen. Und die ganze Zeit über, während wir vor Ort waren, ging das Morden unentwegt weiter.«
»Die Morde waren Racheakte«, sagte Conway. »Alles andere als überraschend im Kontext dieses Krieges. Oder überhaupt jedes Krieges. Agent Dean war bei den Marines, genau wie ich. Ich habe in Vietnam gedient, er hat an Desert Storm teilgenommen. Wir haben Dinge gesehen, über die zu sprechen uns große Überwindung kostet, Dinge, die uns die Frage aufdrängen, warum wir Menschen uns für etwas Besseres als Tiere halten. Während des Krieges waren es die Serben, die die Albaner töteten, und nach dem Krieg war es die albanische UCK, die serbische Zivilisten tötete. Beide Seiten haben reichlich Blut an den Händen.«
»Anfangs haben wir auch diese Morde so eingestuft«, sagte Dean und deutete auf die Leichenfotos auf dem Couchtisch. »Als Racheakte in der Folge des Krieges. Es war nicht unsere Aufgabe, gegen die aktuell herrschenden anarchischen Zustände vorzugehen. Wir hatten den klaren Auftrag vom Internationalen Strafgerichtshof, Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln und zu dokumentieren. Nicht Fälle wie diese.«
»Und doch haben Sie sich damit befasst«, sagte Rizzoli mit einem Blick auf den Briefkopf des FBI auf dem Autopsiebericht. »Warum?«
»Weil ich erkannt habe, worum es sich tatsächlich handelte«, sagte Dean. »Diese Morde waren nicht ethnisch motiviert. Zwei der Männer waren Albaner, der dritte war Serbe. Aber alle drei hatten etwas gemeinsam. Sie hatten attraktive Ehefrauen, die aus ihren Wohnungen verschleppt worden waren. Nach dem dritten Mord erkannte ich die Handschrift des Mörders wieder. Ich wusste, womit wir es zu tun hatten. Aber diese Morde fielen unter die Zuständigkeit der dortigen Gerichtsbarkeit und nicht unter die des ICTY, das uns entsandt hatte.«
»Und was wurde unternommen?«, fragte sie.
»Das ist schnell gesagt: gar nichts«, antwortete Conway.
»Aber bedenken Sie bitte die Situation, Detective. Tausende von Kriegsopfern in über einhundertfünfzig Massengräbern. Ausländische Friedenstruppen, die sich verzweifelt bemühten, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Bewaffnete Banden, die durch zerbombte Dörfer streiften und jeden Anlass zum Töten nutzten. Und dann die Zivilisten selbst, voller Hass und Groll über altes Unrecht. Es war der Wilde Westen dort drüben; ständig kam es zu Schießereien wegen Drogen, wegen Familienfehden oder persönlicher Rachefeldzüge. Und fast immer wurde das Töten auf ethnische Spannungen zurückgeführt. Wie konnte man da einen Mord vom anderen unterscheiden? Es waren einfach so viele.«
»Für einen Serienmörder«, sagte Dean, »war es das Paradies auf Erden.«
22
Sie sah Dean an. Es hatte sie nicht überrascht, von seinem Militärdienst zu hören. Dass er Soldat gewesen war, hatte sie schon längst an seiner Haltung, seiner befehlsgewohnten Art erkannt. Er wusste, wie es in Kriegsgebieten zuging, und er musste mit den Szenen vertraut sein, die sich seit jeher nach militärischen Eroberungen abgespielt hatten. Mit der Demütigung der Besiegten durch die Sieger. Dem Plündern, dem Sammeln von Trophäen.
»Unser Täter war im Kosovo«, sagte sie.
»Genau die Art von Umgebung, in der jemand wie er aufblühen konnte«, sagte Conway. »Wo der gewaltsame Tod zum Alltag gehört. An einem solchen Ort kann ein Serienmörder auftauchen, seine Gräueltaten begehen und wieder verschwinden, ohne dass
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