Der Meister
Sie mir glauben.«
Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Und ich dachte immer, Sie seien so furchtlos.«
»Wie sind Sie denn darauf gekommen?«
»Ich habe Sie beobachtet. Und Sie geben sich ja auch alle Mühe, diesen Eindruck zu erwecken. Immer in voller Rüstung.«
»Jetzt versuchen Sie schon wieder, mich zu analysieren. Das machen Sie ständig.«
»Die Macht der Gewohnheit. Das war mein Job im Golfkrieg. Psychologische Kriegsführung.«
»Aber ich bin nicht der Feind, okay?«
»Das habe ich auch nie geglaubt, Jane.«
Sie sah ihn an und musste wieder einmal die klaren, scharfen Konturen seines Profils bewundern. »Aber Sie haben mir nicht getraut.«
»Ich kannte Sie ja noch nicht.«
»Und jetzt haben Sie also Ihre Meinung geändert?«
»Was glauben Sie denn, weshalb ich Sie gebeten habe, nach Washington zu kommen?«
»Ach, was weiß ich«, erwiderte sie und lachte unbekümmert. »Vielleicht, weil ich Ihnen gefehlt habe und Sie es nicht erwarten konnten, mich wiederzusehen?«
Sein Schweigen ließ sie erröten. Ihr Verhalten erschien ihr plötzlich töricht und verantwortungslos, genau die Eigenschaften, die sie bei anderen Frauen so verachtete. Sie starrte zum Fenster hinaus, um ihn nicht ansehen zu müssen. Der Klang ihrer eigenen Stimme, ihrer eigenen unbedachten Worte tönten ihr immer noch in den Ohren.
Vor ihnen setzten sich die Autos endlich wieder in Bewegung; Reifen pflügten durch tiefe Pfützen.
»Um ehrlich zu sein«, sagte er, »ich wollte Sie tatsächlich sehen.«
»Ach?« Eine knappe, beiläufig hingeschleuderte Antwort – sie hatte sich schon genug blamiert und würde den gleichen Fehler nicht noch einmal machen.
»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen. Für meine Bemerkung Marquette gegenüber, Sie seien dem Job nicht gewachsen. Ich habe mich geirrt.«
»Wann sind Sie zu dem Schluss gekommen?«
»Es gab da keinen bestimmten Moment. Ich habe Sie einfach … bei Ihrer Arbeit beobachtet, Tag für Tag. Und gesehen, wie konzentriert Sie zu Werke gehen. Wie Sie von dem unbedingten Willen getrieben sind, alles richtig zu machen.«
Mit leiser Stimme setzte er hinzu: »Und dann habe ich herausgefunden, mit welcher Belastung Sie seit letztem Sommer leben müssen. Das war mir alles nicht bewusst gewesen.«
»Wow. Und sie schafft es trotzdem, ihre Arbeit ordentlich zu erledigen.«
»Sie denken, ich habe bloß Mitleid mit Ihnen«, sagte er.
»Es ist eben nicht besonders schmeichelhaft, wenn man zu hören kriegt: ›Seht her, was sie alles geschafft hat, und das trotz dieser Belastung.‹ Vielleicht kriege ich ja eine Medaille bei den Paralympics. Die für psychisch angeknackste Cops.«
Er seufzte genervt. »Suchen Sie immer so hartnäckig nach dem verborgenen Motiv hinter jedem Kompliment und jedem lobenden Wort? Es kommt auch schon mal vor, dass jemand genau das meint, was er sagt, Jane.«
»Sie müssen doch verstehen, dass ich mehr als nur ein bisschen skeptisch auf alles reagiere, was von Ihnen kommt.«
»Sie glauben immer noch, dass ich meine wahren Absichten vor Ihnen verberge?«
»Ich bin mir nicht mehr so sicher.«
»Aber irgendetwas muss ich verbergen, nicht wahr? Weil, Sie ja ganz bestimmt kein ehrliches Kompliment von mir verdient haben.«
»Ich weiß schon, was Sie sagen wollen.«
»Mag sein. Aber Sie glauben es nicht wirklich.« Er bremste an einer roten Ampel und sah sie an. »Woher kommt nur diese ganze Skepsis? Haben Sie es immer schon als so schwer empfunden, Jane Rizzoli zu sein?«
Sie reagierte mit einem matten Lachen. »Machen wir lieber einen Bogen um das Thema, Dean.«
»Sie meinen das Thema ›Frauen im Polizeidienst‹?«
»Das müssen wir ja jetzt nicht breittreten; Sie können sich den Rest sicherlich denken.«
»Ihre Kollegen scheinen Sie doch zu respektieren.«
»Es gibt ein paar unrühmliche Ausnahmen.«
»Die gibt es immer.«
Die Ampel sprang auf Grün, und er richtete den Blick wieder auf die Straße.
»Das ist nun einmal so in dieser Branche«, sagte sie. »Ziemlich testosterongesteuert.«
»Und warum haben Sie dann diesen Beruf gewählt?«
»Weil ich in Hauswirtschaftslehre durchgefallen bin.«
Darüber mussten sie beide lachen. Das erste Mal, dass sie ohne Hintergedanken miteinander lachten.
»Aber Scherz beiseite«, fuhr sie fort. »Ich wusste schon mit zwölf, dass ich einmal Polizistin werden wollte.«
»Wieso?«
»Polizisten werden von allen respektiert. Das ist jedenfalls der Eindruck, den man als Kind bekommt. Ich war scharf
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