Der Meister
aufgeben.«
Ihre Worte versanken wie Steine in einem tiefen See. Keine Wellen, keine Reaktion. Nach langem Schweigen richteten sich Dianes ausdruckslose blaue Augen endlich auf sie. »Ich fürchte, ich habe Ihren Namen schon wieder vergessen.«
»Jane Rizzoli. Ihr Mann und ich haben bei einer Observierung zusammengearbeitet.«
»Ach. Sie sind das.«
Rizzoli schwieg. Mit einem Schlag waren die Schuldgefühle wieder da. Ja, ich bin das. Ich bin diejenige, die ihn hilflos zurückgelassen hat. Die ihn allein in der Dunkelheit hat liegen lassen, weil ich so wild drauf war, wieder geradezubiegen, was ich in dieser Nacht verbockt hatte.
»Danke«, sagte Diane.
Rizzoli runzelte die Stirn. »Wofür?«
»Für alles, was Sie getan haben. Um ihm zu helfen.«
Rizzoli blickte in die leeren blauen Augen der Frau und bemerkte zum ersten Mal die stark verengten Pupillen. Die Augen einer Frau unter Drogen, dachte sie. Diane Korsak war ganz offensichtlich mit Medikamenten voll gepumpt.
Rizzolis Blick ging zu Korsak. Sie erinnerte sich an den Abend, als sie ihn an den Tatort des Ghent-Mordes gerufen hatte und er in angetrunkenem Zustand erschienen war. Und sie erinnerte sich an den Abend, als sie zusammen auf dem Parkplatz des Rechtsmedizinischen Instituts gestanden hatten und sie den Eindruck gehabt hatte, dass Korsak am liebsten gar nicht nach Hause gefahren wäre. War es das, was ihn jeden Abend erwartete? Diese Frau mit ihrem leeren Blick und ihrer Roboterstimme?
Dashast du mir nie erzählt. Aber ich habe ja auch nicht gefragt.
Sie trat auf das Bett zu und drückte ihm die Hand. Dachte daran, wie sein feuchter Händedruck sie anfangs angewidert hatte. Aber heute war es anders; heute hätte sie sich so gefreut, wenn er nur ihre Berührung erwidert hätte. Doch die Hand, die sie hielt, blieb schlaff und reglos.
Es war elf Uhr morgens, als sie endlich nach Hause kam. Sie machte die Wohnungstür hinter sich zu, legte die beiden Riegel vor, gab die Kombination des Sicherheitsschlosses ein und hängte schließlich noch die Kette davor. Früher einmal hätte sie diese ganzen Schlösser und Riegel als ein Zeichen von Verfolgungswahn interpretiert; früher hatte sie sich mit einem schlichten Türgriffschloss und einer Schusswaffe in ihrer Nachttischschublade zufrieden gegeben. Aber vor einem Jahr hatte Warren Hoyt ihr ganzes Leben verändert, und seither zierten diese glänzenden Messingvorrichtungen ihre Wohnungstür. Sie starrte ihre Batterie von Schlössern an, und schlagartig ging ihr auf, wie sehr sie inzwischen den Opfern von Gewaltverbrechern glich, die auch keine Ruhe hatten, bis sie sich in ihrer Wohnung verbarrikadiert und von der Außenwelt abgeschottet hatten.
Der Chirurg hatte ihr das angetan.
Und nun hatte sich dieser neue Täter, der Dominator, zu dem Chor der Monster gesellt, die vor ihrer Tür heulten und kreischten. Gabriel Dean hatte sofort verstanden, dass die Wahl des Grabes, auf dem Karenna Ghents Leiche abgelegt worden war, kein Zufall sein konnte. Wenngleich Anthony Rizzoli, der in diesem Grab lag, nicht mit ihr verwandt war, konnte doch kein Zweifel daran bestehen, dass die Namensgleichheit eine unmissverständliche Botschaft an sie persönlich darstellte.
Der Dominator kennt meinen Namen.
Sie legte ihr Halfter nicht ab, bis sie ihren routinemäßigen Rundgang abgeschlossen hatte. Es war keine große Wohnung, und sie brauchte keine Minute, um einen Blick in die Küche und das Wohnzimmer zu werfen und über den kurzen Flur ins Schlafzimmer zu gehen, wo sie im Wandschrank und unter dem Bett nachsah. Erst als sie damit fertig war, schnallte sie das Halfter ab und legte die Waffe in ihre Nachttischschublade. Dann zog sie sich aus und ging ins Bad. Die Tür schloss sie hinter sich ab – noch so ein automatischer Reflex, vollkommen überflüssig im Grunde; doch nur so konnte sie sich überwinden, in die Dusche zu steigen und den Vorhang hinter sich zuzuziehen. Kurz darauf – sie hatte sich gerade erst die Pflegespülung in die Haare massiert – beschlich sie plötzlich das Gefühl, dass sie nicht allein war. Sie riss den Vorhang zurück und blickte sich mit pochendem Herzen in dem leeren Badezimmer um, während das Wasser auf ihre Schultern prasselte und an ihrem Körper herablief.
Sie drehte die Brause ab. Lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kacheln, atmete tief durch und wartete darauf, dass ihr Puls sich wieder beruhigte. In ihren Ohren rauschte das Blut, und sie hörte das Surren des
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