Der Meisterdieb und seine Feinde
sperrst deine Ohren auf. Den Finderlohn kannst du vergessen.
Du wirst jetzt sofort zum Friedhof zurückfahren und das Geld in die Schachtel
legen. Begriffen? Als ich dich mit dem Wagen gestreift habe, war das nur eine
Warnung. Beim nächsten Mal mache ich dich platt. Oder — noch besser — ich nehme
mir deine Freundin vor. Würde sie dir auch noch gefallen mit ‘nem Gesicht
voller Narben, heh? Dafür bin ich Spezialist. Und glaub nicht, dass ich nur
drohe. Ich und meine Leute — wir lassen uns nicht aufhalten.“
„Dann verrate ich Ihnen was,
Armleuchter: Wer meine Freundin anrührt, wird sich wünschen, er wäre schon dort
— und zwar als Dauerbelegung — , wo Sie mich jetzt hinbestellen. Und glauben
Sie nicht, dass ich nur drohe. Im Übrigen kann ich nicht zum Friedhof kommen.
Ich bin verletzt. Beim Sturz in den Chausseegraben — infolge Ihrer Warnung —
habe ich mir das Handgelenk gebrochen. Und einen Zahn ausgeschlagen. Hören Sie,
wie ich durch die Lücke zische? Aber Sie kriegen Ihr Geld. Das mit dem
Finderlohn darf man ja schließlich versuchen, nicht wahr? Mein Freund Willi —
das ist der Untersetzte mit der strammen Figur — kommt an meiner Stelle.“
„Keine Polizei. Sonst machen
wir euch alle.“
„Jaja. Die Polizei lassen wir
außen vor. Wir haben so was geahnt und unserem Erzieher auch nichts von Ihrer
Attacke gesagt. Angeblich bin ich aus Blödheit gestürzt.“
„Das passt zu dir, nehme ich
an.“
Tim erwiderte nichts.
„Sag dem Dicken“, befahl der
Anrufer, „dass er sich beeilen soll.“
„Willi liegt schon im Bett.
Aber in zehn Minuten bricht er auf.“
Der Anrufer schwieg. Dann war
die Leitung tot.
Den Plan hatten sie
abgesprochen. Es war Tims Idee. Um gleich starten zu können, trug der
TKKG-Häuptling bereits die richtigen Klamotten: schwarze Winterjeans, schwarze
Schnürstiefel, seinen dunkelsten Windbreaker — schwarzbraun wie
Bitterschokolade mit 70 Prozent Kakaoanteil — und schwarzen Pullover. Anstelle
seiner Baseballmütze zog sich Tim eine schwarze Wollmütze über die braunen
Locken.
„Hallo, Ninja!“, meinte
Klößchen.
„In der Kluft bin ich so dunkel
wie die Nacht. Also, du wartest zehn Minuten. Nimmst dann den normalen Weg.
Verlier um Himmels willen das Geld nicht! Denk an die Taschenlampe, damit du
dich auf dem Friedhof zurechtfindest.“
„Ich lege das Geld zurück“,
nickte Klößchen, „und ziehe wieder ab. Aber am Unteren Retzelweg warte ich
hinter dem Kiosk darauf, dass du dich meldest, über Handy.“
Tims Plan war einfach. Der
TKKG-Häuptling würde sofort loszischen, aber nicht über die Zubringerstraße
jagen, sondern mit seinem Mountainbike querfeldein brettern — über Feldwege in
totaler Dunkelheit. Damit konnte er sicher sein, dass keiner der Erpresser ihn
bemerkte — falls die Internatsschule beobachtet wurde. Denn natürlich wollte
Tim nicht durch das Tor — den erleuchteten Haupteingang — biken, vielmehr das
Gelände über die dunkle Rückseite verlassen.
„Du lässt dir Zeit“, sagte Tim,
„ich fahre höchstes Tempo. Ich bin mindestens 15 Minuten vor dir beim Friedhof.
Dort werde ich — außer Sichtweite vom Tor — über die Mauer klettern. Wenn du
kommst, habe ich mich schon versteckt — beim Gredewitz-Grab. Vielleicht stoße
ich gleich auf den Typ mit der Schnarchstimme. Vielleicht kommt er später.
Jedenfalls wird er sein blaues Wunder erleben.“
„Und wenn es mehrere sind?“
„Mehr als zwei werden es
bestimmt nicht sein. Die schaffe ich. Notfalls nehme ich ‘nen Knüppel.“
Tim sah auf die Uhr. Es war
nach 20 Uhr. Das hieß, er musste sich hinausschleichen — durfte keinem Pauker,
keinem Erzieher begegnen, nicht mal dem gutmütigen Snorebag.
Auf die Strickleiter konnten
sie allerdings zunächst verzichten. Denn um diese Zeit waren die
Internatsgebäude noch nicht abgeschlossen, ebenso wenig der Fahrradschuppen —
und auch das Tor stand noch offen. Vermutlich blieb der Ausflug unbemerkt, denn
Snorebag, der heute der EvD (Erzieher vom Dienst ) war, machte seine
Runde nur einmal.
Freilich: Nachher, wenn sie
zurückkamen, mussten die Jungs klettern. Deshalb war auch ein Flurfenster nur
angelehnt und davor — im Weinlaub der Außenfront — hing die Strickleiter bis
hinunter in den dunklen Winkel einer vorspringenden Mauer.
Vorhin hatten sie den Rückweg
vorbereitet. Wenn die Strickleiter nicht gebraucht wurde, war sie auf dem
Dachboden versteckt.
„Alles klar?“, fragte Tim und
öffnete leise die
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