Der Meisterdieb
drehte sich zurück, die Statue kippte, der Fels schloss sich. Nichts deutete darauf hin, dass dieser leere Raum den Eingang zu einer Schatzkammer bildete.
Als sie hintereinander die Treppe hinaufgingen, wobei Luxon und der Wächter die Fackeln trugen, fragte Mythor: »Wie haben eigentlich die wahren Herrscher Sarphands darauf reagiert, dass du der bekannteste Dieb der Stadt und des Umlands wurdest, damals?«
Luxon lachte laut; die Felswände der Treppe warfen das Gelächter hart zurück.
»Sadyn hat dir aus meinem Leben berichtet, nicht wahr?« Er machte eine Pause und pfiff leise. »Ausgerechnet ihre Gunst hast du erringen können. Sie ist wirklich wählerisch, und diesmal hat sie besonders guten Geschmack bewiesen. Nun, ich will antworten.
Die Herrschenden und ihre Hofschranzen wussten Rat. Jemand sagte ihnen, dass sie es so wie mit sich selbst machen sollten. Sie sollten mich, den Meisterdieb Arruf, in ihren Stand erheben. Die Beratung fiel wohl zu meinen Gunsten aus, denn eines Tages kamen offizielle Boten zu mir und befahlen mich in den Palast des Sarpha.
Ich ging hin, nicht ohne eine Unmenge an Vorbereitungen für eine schnelle Flucht getroffen zu haben.«
»Und du wurdest tatsächlich geadelt?« fragte Mythor und sah zu, wie die Männer die Fackeln löschten.
»Keine Spur!«
»Wie gelang es dir trotzdem zu überleben?«
»Das erzähle ich euch heute, wenn wir fröhlich tafelnd auf der Terrasse sitzen!« versprach Luxon.
»Vielleicht ist nicht jeder von uns sonderlich fröhlich!«
»Ich bin es auf alle Fälle«, versicherte Luxon und verschwand durch eine der vielen Türen seines Palasts.
*
Als Arruf auf die unterste Stufe der breiten, prachtvoll umsäumten Treppe trat, rief er sich bewusst in die Erinnerung zurück, wo er sich befand. Er stand fast auf der Spitze des riesigen Felsens, auf dem Sarphand ruhte. In Wirklichkeit war der Fels von Tunnels, Schächten, Höhlen, Spalten und Löchern durchsetzt wie ein alter Käse von den Löchern der emsigen Maden. Die Diebe und die Bettler, zu denen auch er gehörte, lebten in diesen Hohlräumen. Nur wenigen von ihnen war ein Schicksal gegönnt, das dem seinen glich: Nur wenige wurden dergestalt mit Ehrungen überhäuft, dass man sie nicht mehr zu fürchten brauchte. Dieser Brauch war auch von den Vorgängern des heutigen Sarpha praktiziert worden.
»Nun denn«, sagte Arruf zu seinen Begleitern. »Wagen wir uns also in die Höhle der Macht.«
Bis auf einen versteckten Dolch war er waffenlos. Nicht so seine Begleiter, deren Gesichter von dünnen schwärzen Ledermasken verhüllt waren. Je mehr Stufen der langen Treppe überwunden wurden, desto größer wurde die Zahl der Personen, die sich an diesem Abend im Palast und außerhalb befanden. Arruf wusste, dass ihm heute im Palast keine Gefahr drohte, wenigstens nicht offiziell vom Sarpha.
Sarpha Yahid der Siebzehnte saß zwischen den schlanken Säulen, und als Arruf die funkelnden Steine in den Armlehnen des Thrones sah, unterdrückte er schnell sein eindeutiges Gefühl.
Der Saal war keineswegs sehr prunkvoll; eher eine ineinander übergehende Menge verschieden großer Räume, von Säulen und Bögen gestützt, mit einem Boden aus großen Steinplatten, die durch die Jahre hindurch von den Sohlen der Palastkamarilla poliert worden waren. Zwischen Yahid und den drei Männern befanden sich schätzungsweise fünfzig Anwesende, die Bediensteten nicht eingerechnet. Die Nacht war schwül, Nebel und Feuchtigkeit lasteten schwer, aber auf der Spitze des Stadtbergs wehte ständig ein leichter Wind, der den Rauch aus den Feuerschalen seitlich abtrieb und unter den unterschiedlich hohen Decken verwirbelte. Ruhig schritten Arruf und seine beiden Freunde geradeaus. Sie waren fluchtbereit und wussten, dass im entscheidenden Augenblick andere Männer eingreifen würden, ohne sich bewusst zu verraten.
Ein schwarzgekleideter Mann erkannte Arruf, stieß das Ende eines langen Stabes auf den Boden und rief mit voller, wohltönender Stimme: »Arruf und zwei Freunde, zum heutigen Abend geladen, treten ein. Sie verneigen sich vor der Würde des Herrschers.«
Aus einer anderen Ecke ertönte das tiefe Donnern eines riesigen Gongs.
Arruf blieb stehen, als er dreißig kleine Schritte vom Thron entfernt war. Dann verbeugte er sich tatsächlich, aber keinen Fingerbreit mehr, als es unbedingt nötig war. Die Begleiter taten es ihm gleich. In den Sälen, in denen bisher erwartungsvolles Stimmengemurmel und leises Gelächter
Weitere Kostenlose Bücher