Der Memory Code
“Wünsch dir das lieber nicht. Du hast nur dann ’ne Chance, hier mit heiler Haut rauszukommen, wenn deine Frau Professor
nicht
zur Polizei geht. Ich habe meine Anweisungen. Ein Sterbenswörtchen, und …” Er machte eine wegwerfende Handbewegung, wohl wissend, dass er Bettina mit seinen Andeutungen eine Heidenangst einjagte.
Der Nachrichtensprecher kommentierte eine neue Gesetzesvorlage, die soeben den Senat passiert hatte.
Wieso zeigen die Quinns Foto nicht? Und keins von mir?
Carls Handy dudelte los, und Bettina merkte, wie sie zusammenzuckte. Sein Klingelton bestand aus den ersten Takten eines beliebten Hits aus den Siebzigeroder Achtzigerjahren, den sich auch ihre Eltern manchmal anhörten. Eins stand für Bettina fest: Sollte sie diese Geschichte hier überstehen, würde diese Anfangsmelodie sie jedes Mal, wenn sie erklang, aufs Neue quälen.
“Alles im grünen Bereich!”, meldete er. Eine Pause entstand. Bettina spitzte die Ohren, um die Stimme am anderen Ende der Leitung zu verstehen. So hätte sie später, wenn alles überstanden war, möglicherweise der Polizei einen Hinweis geben können. Sie hörte aber nur, dass es sich um eine Männerstimme handelte.
“Um wie viel Uhr?” Das Handy am Ohr, zeichnete Carl mit der Fingerspitze einen Kringel auf seine Hose. “Alles klar, verstanden. Übrigens, ich …” Der Anrufer ließ ihn offenbar nicht ausreden. “Ablenken? Wie denn?” Pause. “Was soll das heißen, ich soll mich nicht mit Ihnen anlegen?” Carl wirkte verdattert. “Aber wenn Sie mir die Waffe wegnehmen, kann ich mich doch gar nicht mehr …” Wieder hielt er inne. “Nein. Das gefällt mir nicht. Ich bin doch kein verdammter Schauspieler in einer verdammten Realityshow! Auf keinen Fall! Ich stelle mich nicht da hin, nur damit Sie den Helden markieren können. So war das nicht abgemacht, Mann! Ich nehme das Paket entgegen und liefere die Kleine ab. Wir zwei beiden treffen uns dann wie vereinbart, und Sie kriegen von mir Ihren Heiligen Gral.” Wieder eine Unterbrechung, diesmal eine längere. “Meine Güte, nun machen Sie sich mal nicht ins Hemd!” Pause. “Ja, von mir aus, aber jetzt lassen Sie erst mal die Kohle rüberwachsen! Wir hatten vereinbart, die würde im Voraus hinterlegt. Wie die Sache ausgeht? Das interessiert mich einen Scheißdreck,
kapiert
? Es läuft entweder auf meine Tour oder gar nicht. Das Balg geht mir sowieso schon so was von auf die Nerven, da …” Wieder Funkstille, bis Carl wortlos sein Handy zuklappte.
“Und gleich das Wetter für …”, tönte es aus dem Fernseher.
Blitzschnell schaltete Carl auf einen anderen Kanal um. “Das fehlte gerade noch, dass du mitkriegst, wo wir hier sind.”
Warum das denn?, fragte sich Bettina. Was half es schon, wenn sie erfuhr, in welchem Bundesstaat sie waren?
“Noch einen Keks!”, quengelte Quinn, die anscheinend gar nicht begriff, was um sie herum vorging.
“Du hast schon zwei gekriegt.” Selbst unter diesem Druck vergaß sie nicht die Regeln, die Gabriella ihr eingebläut hatte. Aber auf ein dämliches Plätzchen mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. “Hier, Mäuschen.”
Die Kleine nahm es entgegen, biss hinein und legte es hin.
“Was ist?”
“Ich will nach Hause.” Auf einmal wirkte sie verängstigt. Vermutlich spürte sie jetzt doch die Spannung, die sich im Raum ausgebreitet hatte.
“Klar, Schätzchen. Bald gehen wir nach Hause.”
“Hier gefällt es mir nicht. Hier ist es wie in Mommys Albtraum.”
“Wie alt ist die Kleine?”, wollte Carl wissen.
“Knapp drei. Hab ich Ihnen doch schon gesagt.”
“Und woher weiß sie solche Sachen? Mommys Albtraum?”
Zum ersten Mal, seit sie zu ihm ins Auto gestiegen waren, zeigte er so etwas wie Interesse an ihnen beiden. Bisher hatte sich sein Mitteilungsbedürfnis in “Halt die Klappe!”, “Was will sie denn zu essen haben?” oder “Hände nach hinten!” erschöpft. Vielleicht wurde ihm allmählich langweilig. Ob man ihn wohl in ein Gespräch verwickeln konnte? Und was dann?
Er wartete immer noch auf ihre Antwort.
“Einzelkinder sind manchmal viel altklüger als andere. Die schnappen eine Menge von dem auf, worüber sich Erwachsene unterhalten. Was einem selber beim Sprechen gar nicht auffällt, das merken sie sich.”
Er machte ein argwöhnisches Gesicht.
Ach, du liebe Zeit! Glaubte er jetzt etwa, sie hätte damit andeuten wollen, Quinn könne ihn beschreiben, wenn alles vorüber war? Ihr Herz fing an zu rasen.
Die
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