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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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des Anrufers auf und drückte die Ruftaste.
    Während sie wartete, hatte Josh fast den Eindruck, als müsse sie mühsam nach Luft ringen. Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn; ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch der Ausdruck von Kraft und Wut wich nicht aus ihrem Gesicht.
    “Ich kriege ihn nicht wieder ran!”, zischte sie.
    “Verdammt noch mal, Gabriella, lass uns zur Polizei gehen!”
    “Nein! Nein!” Wie wild tippte sie auf die Wahlwiederholungstaste.
    “Noch ist es nicht zu spät. Bei der Polizei weiß man, wie …”
    Sie schnitt ihm das Wort ab. “Kapierst du’s immer noch nicht? Das Risiko darf ich nicht eingehen! Du weißt doch, dass die über Leichen gehen! Rudolfo ist tot! Tony ist tot! Menschenskind, dich hätte es auch um ein Haar erwischt. Ich kann das einfach nicht riskieren …” Nun versagte ihr endgültig die Stimme. Geraume Zeit starrte sie lautlos schluchzend aus dem Flugzeugfenster.
    “Konntest du mit Quinn sprechen?”, fragte Josh, nachdem sie sich beruhigt hatte.
    “Nein, aber er hat mir ein Band vorgespielt. Mit ihrer und Bettinas Stimme. Es gehe beiden gut, hat er gesagt. Sie seien ‘wohlauf’, so seine Worte. Doch wegen der Übersetzung gibt er mir höchstens bis Freitag Zeit. Nur drei Tage, um ein Rätsel zu lösen, das über dreitausend Jahre alt ist.”
    Wie aus einem flimmernden alten Stummfilm erschien vor Joshs innerem Auge ein flüchtiges Bild. Es zeigte eine Szene, in der Sabina ihr Kind in die Arme ihrer Schwester legte. Dann flackerte der Filmausschnitt und verlöschte wie eine ausgepustete Kerzenflamme. Josh musterte die neuerlich von Kummer überwältigte Gabriella, wusste aber, dass ihm die Hände gebunden waren. Gern hätte er sie getröstet, sie zumindest etwas aufgemuntert, doch in diesem Augenblick wurden die Kabinentüren geöffnet, und die Passagiere mussten aussteigen.
    Auf Josh und Gabriella wartete noch ein Anschlussflug. Von Denver sollte es weitergehen nach Salt Lake City und dann zu einem Ort namens San Rafael Swell, wo sie verabredet waren mit Larry Rollins, einem Archäologen und Bekannten von Gabriella und Alice. Wie es der Zufall wollte, hatte Rollins erst unlängst einen entscheidenden Durchbruch bei der Deutung der Indus-Schrift erzielt. Alice hatte versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen, dabei allerdings festgestellt, dass er sich bei einer Grabung befand und weder per Handy noch per Funk zu erreichen war. Wollte man auf seine Hilfe nicht verzichten, musste man in den sauren Apfel beißen und ihn an Ort und Stelle aufsuchen.
    “Und wenn Rollins nicht helfen kann? Was soll ich dann machen? Ich glaube, ich drehe noch durch, Josh. Ich weiß nicht, wie ich das durchstehen soll.”
    Wie oft hatte er in den vergangenen zwölf Stunden erfolglos versucht, ihr Zuspruch zu spenden? In religiösen Dingen war er wenig versiert, und er hatte auch keine Ahnung, was er ihr hätte bieten sollen. Inmitten des schlimmsten Grauens hatte er einmal erlebt, wie sich Erbarmen offenbarte: als kleiner Punkt am Horizont, als Flugzeug, das Lebensmittel in ein zerbombtes Dorf einflog. Er hatte die Hoffnung in den Augen eines Soldaten gesehen, der es nach Auftragsausführung zurück ins Feldlager schaffte, Barmherzigkeit im Blick einer Krankenschwester, die sich über einen Verwundeten beugte und Josh für einen Moment die höllischen Schmerzen vergessen ließ. Aber Glaube? Gebet? In der Welt, in der Josh die letzten zwölf Jahre verbracht hatte, mangelte es an beiden nicht, doch was hatten Glauben und Beten schon gebracht? Gabriella gehörte ja selbst zu jenen, die Kirchen und Tempel aufsuchten, Kerzen anzündeten, niederknieten und zu allen möglichen Göttern beteten. Leid blieb ihr dennoch nicht erspart. Was sollte er sagen?
    “Du weißt, wie man glaubt, und du weißt, wie man betet. Du musst daran glauben und dafür beten, dass Rollins dir hilft.”

56. KAPITEL
    S cranton, Pennsylvania – 12:15 Uhr
    “Komm, Schätzchen, iss doch was von dem Sandwich”, bat Bettina die Kleine. “Es schmeckt lecker! Guck mal!” Sie biss selber ein Stückchen ab und schluckte mühsam. Vor lauter Angst bekam sie kaum einen Bissen herunter, aber sie wusste, sie musste etwas zu sich nehmen, genauso wie Quinn.
    “Es ist kalt!”, nörgelte Quinn. “Kannst du es nicht warm machen?”
    “Nein, das wird so gegessen. Das ist ganz was Neues. Los, ja?” Sie flehte das Mädchen regelrecht an, als sei ein Happen ein Zeichen. Als kämen sie lebendig aus dieser Lage heraus, wenn

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