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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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die Kleine nur etwas zu sich nahm. “Komm schon, bitte!”
    “Na gut”, nuschelte Quinn, knabberte an dem Käse und begann gehorsam zu kauen – mit krauser Nase zwar, aber immerhin.
    Bettina warf einen Blick auf Carl, der vor der Tür in einem Sessel saß und in einem Taschenbuch schmökerte. Die Vorhänge waren zugezogen, doch sie bemerkte einen Lichtstreifen, der durch die Ritze unter den schäbigen Motelvorhängen hervorsickerte. Da Carl sowieso nie die Gardinen öffnete, versuchte sie inzwischen schon gar nicht mehr zu sondieren, wo sie sich befand. Stattdessen horchte sie angestrengt auf Lebenszeichen von jenseits der Zimmerwände. Allerdings ließ Carl zu jeder Tages- und Nachtzeit den Fernseher plärren, sodass es bei dem ständigen Radau unmöglich war, irgendetwas zu hören.
    “So, und jetzt ein Schlückchen Milch.”
    “Die ist ja warm!”
    Bettina rang sich ein Lächeln ab. “Das Sandwich ist dir zu kalt und die Milch ist nicht kalt genug, hm?”
    Quinn lachte, was angesichts der erbärmlichen Umstände einem Wunder gleichkam.
    Gott sei Dank war es noch hell. Bettina grauste schon vor der nächsten Nacht. Wenn sie nur an die schwere Augenbinde dachte, die Carl ihr immer um den Kopf wand, und an das Gefühl der Handschellen, die er ihr wieder um die Handgelenke schnappen ließ, brach ihr der kalte Schweiß aus. Am meisten graute ihr vor dem Knebel, den er ihr in den Mund stopfte. Er hatte ihr erklärt, das müsse sein, damit er auch mal die Augen zutun könne. Er brauchte ja schließlich auch seinen Schlaf, nicht wahr?
    Vorige Nacht hatte sie auf dem Bett gelegen – in unbequemer Lage, verängstigt, die Kehle wie zugeschnürt, sodass sie kaum schlucken konnte. Speiübel war ihr zumute gewesen. Sie hatte versucht, Passagen aus den Theaterstücken, in denen sie gespielt hatte, zu wiederholen, aber der Baumwollfetzen in ihrem Mund schmeckte so widerlich, dass sie dauernd würgen musste. Der grobe Stoff der Augenbinde rieb ihr die Augen wund, und die scheuernden Handschellen ließen sie nicht einschlafen. Eigentlich hätte sie hundemüde sein müssen; in den vergangenen sechsunddreißig Stunden hatte sie nur ein einziges Mal geschlafen, als sie während Quinns Mittagsschlaf selber eingenickt war, ohne es zu merken.
    Einmal mehr blickte sie sich in der Hoffnung, ihr werde vielleicht etwas Wichtiges auffallen, im Zimmer um. Sie sah aber nur das Doppelbett mit den Laken und der leicht muffig riechenden Tagesdecke, ferner eine Kommode mit einer fehlenden Schublade, den billigen Spiegel, ein furniertes Tischchen und zwei klobige Sessel, von denen der Typ da drüben einen gleich in Beschlag genommen hatte. Hinzu kam die winzige Nasszelle mit der Duschkabine, zwei mickrigen Stückchen Seife und fadenscheinigen Frottehandtüchern. Ein Telefon gab es nicht, nur die entsprechende Anschlussbuchse. Das Gerät musste aber irgendwo sein; vermutlich hatte Carl es von der Leitung genommen und versteckt. Ja, hätte sie nur fünf Minuten Zeit gehabt zum Suchen! Sie hätte es im Nu entdeckt, und dann … Aber er ließ sie ja nie allein, ohne sie zu fesseln und zu knebeln.
    “Nur ein Schlückchen noch, Schätzchen.”
    “Kriege ich dann einen Keks?”
    “Zwei sogar.”
    Zumindest hatte er einigermaßen annehmbare Verpflegung besorgt. Er hatte Bettina um eine Einkaufsliste gebeten und war losgefahren, als sie sich schlafend gestellt hatte. Kaum war die Tür zugeschnappt, da legte sie auch schon los und rieb den Kopf an den stockfleckigen Kissen, um die Augenbinde abzustreifen. Das gelang ihr aber nur so weit, dass etwas mehr Licht hindurchfiel. Außerdem zog sie sich bei dem Rubbeln eine hässliche Schramme auf der Wange zu.
    Er bemerkte sie, als er ihr später die Handschellen abnahm, und wollte wissen, woher sie die hatte. Sie zuckte nur mit den Schultern. Jedes Mal, wenn er ihr nahe kam, hielt sie die Luft an. Sie konnte seinen Geruch nicht ertragen. Gleichzeitig wäre sie am liebsten vorgezuckt, um ihn zu beißen oder zu rammen und so zu überrumpeln, dass sie ihm die Knarre aus dem Hosenbund reißen konnte. Aber was dann? Was, wenn sie es vermasselte und ihn dadurch nur noch aggressiver machte? Was würde er ihr dann wohl antun?
    In diesem Augenblick begannen die Nachrichten. Ob wohl eine Meldung kam, dass sie und Quinn vermisst wurden? So etwas gab es doch ständig im Fernsehen, in Sendungen wie “Americas most wanted”.
    “Du meinst wohl, du siehst dich da gleich, was?”, fragte Carl verächtlich prustend.

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