Der Memory Code
werden sich etwas einfallen lassen, um irgendwie herunterzukommen, und dann werden sie wissen wollen, was hier abgelaufen ist.” Sie blickte nochmals hinüber zu der zerstörten Mumie und streifte kurz die am Boden liegenden Holzreste. “Ich muss in die Klinik. Im Krankenwagen wollten sie mich nicht mitnehmen, weil ich keine Angehörige bin.” Ihre Locken tanzten, als sie ihren Kopf schüttelte, als könnte sie so ihre Gedanken ordnen.
“Hier muss alles verschwinden, was Fragen aufwerfen könnte.” Sie spähte in das schwarze Loch des Stollens. “Ist Ihnen klar, dass Sie diese Ausgrabungsstätte beschädigt haben?” Sie holte tief Luft und sah Josh an. “Welcher Teufel hat Sie nur geritten?”
Ihr Blick bohrte sich in seine Augen. Josh konnte es ihr unmöglich erklären, selbst wenn er es gewollt hätte – und ob er es wollte, wusste er selber nicht. “Die Wand war merkwürdig verfärbt, und das fiel mir auf. Außerdem die Größe und Form der Verfärbung, das alles waren für mich Hinweise, dass sich dahinter etwas verbergen könnte.”
Ob sie ihm das abnahm, ließ sich schlecht sagen, aber sie drang nicht weiter in ihn. “Helfen Sie mir schnell, den Stollen wieder zu schließen? Ich möchte nicht, dass die auch noch hier durchkrabbeln. Weiß der Geier, was die dann noch alles kaputt machen.”
Sie arbeiteten Seite an Seite. So schnell es ging, schaufelten sie lose Erde in die Öffnung, klopften den Lehm fest und packten dann die nächste Schicht darauf. Nach all der Kratzerei und Kriecherei im Stollen waren Joshs Hände ohnehin schon arg mitgenommen, aber das Schaufeln gab ihnen den Rest. Die Haut der Innenhand hing ihm in Fetzen herunter.
“Von jetzt an komme, was da wolle”, ächzte Gabriella. “Hauptsache, Sie erzählen der Polizei nicht, was hier unten los war. Lügen Sie, denken Sie sich etwas aus, aber sagen Sie bloß nichts von dem Tunnel! Ehe wir nicht selber dort waren, darf hier kein Unbefugter rein. Wenn sie runterkommen, lassen wir sie brav ihre Spuren sichern und ihre Fotos machen, und dann nichts wie raus. Ich muss die Ausgrabung versiegeln, bis … Wenn Sie irgendetwas verraten, wenn Sie auch nur andeuten, dass sich hier unten ein Geheimgang befindet, dann werden die nicht locker lassen. Keiner war in dem Stollen, seit das Grab verschlossen wurde. Alles, was wir dort finden, ist von unschätzbarem Wert. Absolut einmalig. Also – tun Sie mir den Gefallen?” Ihre Stimme wirkte tiefer, kehliger, als sei selbst das Äußern dieser Frage ein Geheimakt an sich.
“Der Gang hilft sowieso nicht bei der Tätersuche. Ich werde nichts sagen.”
“Versprechen Sie es mir?” Ihre Bedenken waren noch nicht ausgeräumt. “Was wollen Sie denn sagen, wo Sie während der Schießerei waren?”
“Ich behaupte, ich wäre draußen gewesen. Hörte den Schuss und sah, wie der Wachmann weglief, und dann bin ich runtergeklettert, um dem Professor zu helfen.”
Nickend machte sie sich wieder an die Arbeit.
Josh stellte fest, dass er nun schon von zwei Seiten zum Lügen aufgefordert worden war: erst von Malachai, und nun auch von Gabriella. Er selber war zwar auch nicht scharf darauf, in die Ermittlungen verwickelt zu werden, aber nicht, weil er etwas zu verbergen gehabt hätte.
Ganz sicher war er sich allerdings bei beidem nicht.
“Beeilen Sie sich, Josh! Bitte! Viel Zeit haben wir bestimmt nicht mehr.”
Trotz seiner wunden Hände schwang er erneut die Schaufel, klopfte den Lehm fest, packte die nächste Lage in die Öffnung. Ob die Frau, die man hier lebendig begraben hatte, wohl geahnt hat, dass der Fluchtweg so nah war? Ein Klumpen Dreck drang ihm in die Kehle, und er musste husten. Nicht zu fassen, dass man das Grab über sechzehnhundert Jahre nicht entdeckt hatte! Wie viele Geheimnisse mochte es noch bergen? Wie viele außer Sabinas herzergreifenden Überresten?
14. KAPITEL
V on der Einstiegsöffnung her drang ein schabendes Geräusch, und als die zwei aufblickten, sahen sie, wie eine Aluminiumleiter heruntergelassen wurde. Auf einer der oberen Sprossen erschien ein Fuß in einem schwarzen Herrenhalbschuh, dem gleich darauf der zweite folgte. Nach und nach wurde eine Männergestalt sichtbar.
“Commissario Alessandro Tatti, NTPA”, rief der in Zivil gekleidete Neuankömmling, während er abwärtskletterte. “Wie Sie sehen, haben wir eine neue Leiter.” Sein Englisch war erheblich besser als das der uniformierten Carabinieri.
“NTPA steht für
Nucleo per la Tutela del Patrimonio
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