Der Memory Code
nicht so einfach beugen.
Wenngleich der Gedanke Gotteslästerung war und Julius ihn sich nur einen Moment gestattete, überlegte er doch, ob es nicht besser sei, zum neuen Glauben des Kaisers überzutreten. Dann nämlich hätte er mit Sabina zusammenleben dürfen, offen und ohne Angst. Konnten sie aber all das aufgeben, woran sie glaubten?
“Julius?”
Er hörte sie, bevor er sie sah, und dann trat sie mitten hinein in einen Sonnenstrahl. Rotes Haar, das gleichsam in Flammen stand. Ein weißes Gewand, das zu glühen schien. Lächelnd schritt er auf sie zu; vergessen waren für diese wenigen Minuten der abgeschlachtete Priester, den er am Morgen gesehen hatte, vergessen auch, was dieses für seine und Sabinas Zukunft verhieß. Einen Schritt vor ihm verharrte sie, und sie standen einander gegenüber, blickten sich an, konnten sich nicht sattsehen aneinander.
Endlich!
“Ich habe schlechte Nachrichten”, sagte sie. “Weißt du schon, dass sie Claudius umgebracht haben?”
“Ja”, antwortete er, bemüht, den ganzen Schrecken dessen, was er unterwegs hatte sehen müssen, aus dem heiligen Hain herauszuhalten.
“Was hat das zu bedeuten?” Sie schüttelte den Kopf. “Nein, reden wir nicht darüber. Nicht jetzt. Das kann warten bis später.”
“Ja.”
“Wie viele Male haben wir uns hier getroffen?”, wollte sie wissen. “Fünfzehn? Zwanzig?”
“Warum fragst du?”
“Ich weiß nicht, ob wir genug Erinnerungen zusammenbekommen, dass es fürs ganze Leben reicht. Bei so wenigen Begegnungen!”
“Bei mir reichte eine.”
Mit einem Schritt war er bei ihr und nahm sie in die Arme, während sie ihm das Gesicht entgegenhob. Den Kopf geneigt, senkte er die Lippen auf ihren Mund und schmiegte Sabina an sich, bis weder Luft noch Raum mehr zwischen ihnen war. Geraume Zeit standen sie eng umschlungen und atmeten einander ein.
Schnurrend wie eine Tempelkatze gab Sabina lustvolle, kehlige Laute von sich. “Ich will dich”, raunte sie.
Seit dem nächtlichen Brand hatte sie jegliche Zurückhaltung aufgegeben. Während die Flammen tobten, hatte sie Julius angesehen, offen und unverhüllt, und schließlich hatte sie ihm verkündet, sie habe schon lange gewusst, dass er ihr Schicksal sei. Deswegen war sie ihm immer so feindselig begegnet: Sie hatte versucht, dieses Schicksal abzuwenden. So töricht war sie inzwischen nicht mehr. Wie schon Ödipus erfahren musste: Je mehr man vor seinem Geschick davonrennt, desto mehr läuft man ihm entgegen.
Doch Julius war fünf Jahre älter als sie, vermeintlich klüger also. Selbst wenn sie willens war, ihm ihre Jungfräulichkeit hinzugeben, durfte er nicht davon ausgehen, dass ihr die Tragweite ihrer Entscheidung voll und ganz bewusst war. Also hatte er sie an jenem ersten Tage und danach bei jeder weiteren Zusammenkunft gefragt – sozusagen als Prolog zu ihrem Liebesspiel, als legten sie beide noch einmal ihre Gelübde ab –, ob ihr die Bedeutung ihres Tuns auch wirklich klar sei.
Der Hain war eine Kultstätte für Riten und Opferungen.
Und Julius’ Opfer sah folgendermaßen aus: Sabina jedes Mal die Möglichkeit zu geben, aufs Neue Nein zu sagen, auch wenn er sie unsäglich begehrte.
“Bist du sicher, Sabina, dass du das Wagnis eingehen willst?”, pflegte er sie zu fragen, um dann ihrer Antwort zu harren.
Es gab Zeiten, da lachte sie ihn aus; da löste sie einfach die Spange, die ihr Gewand zusammenhielt, und ließ es zu Boden sinken, als sei ihr Trotz schon Antwort genug. Dann wiederum nahm sie die Frage ernst und antwortete mit Bedacht, indem sie das Haupt neigte und sprach: “So sicher, wie ich es noch nie bei etwas war. Oder je sein werde.”
Sie hatte ihm ihre Jungfräulichkeit nicht leichtfertig hingegeben, dafür jedoch mit Freuden. Unabhängig davon, wie intensiv sie das krampfhafte Drängen, das Zucken und Pulsen ihrer Leiber spürten, vergaßen sie doch beide nie, welch schlimme Strafe ihnen bevorstand, sollte ihr Verhältnis entdeckt werden. Sabina hatte keine Gnade zu erwarten.
Julius ebenso wenig.
“Bist du sicher, Sabina, dass du dieses Wagnis eingehen willst?”, fragte er auch wieder an jenem Tag, als sie noch voll angekleidet war und sie bisher nur Küsse getauscht hatten.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. “Ja, das will ich”, flüsterte sie und bohrte ihre Finger tiefer in seine Haut.
Für Julius zumindest hatte von da an nichts mehr von dem, was weiter unten in der Stadt geschah, irgendeine Bedeutung.
“Ich werde immer davon
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