Der Memory Code
etwas an uns nehmen – einen der Schätze etwa, die Statue oder die Steine – und einfach irgendwohin verschwinden, wo niemand fragt, wer wir sind oder was wir waren.”
Julius stieß ein bitteres Lachen aus. “Die Steine rauben? Und geächtet werden?”
“Geächtet sind wir doch schon, oder? Für uns drei und unsere Missetaten ist hier in Rom kein Platz.”
Ihren letzten Satz hatte er nicht gehört. Nein: Er hatte ihn gehört, aber nicht verstanden. Oder er hatte ihn doch verstanden, und der Inhalt versetzte ihm einen solchen Schreck, dass er sich ihm verweigerte? Denn falls es stimmte, was sie da eben gesagt hatte, dann waren sie beide nun endgültig rettungslos verloren. Zumal es bald den sichtbaren Beweis für ihren Frevel geben würde. Manche Frau hätte es wortreich erklärt, doch Sabina nahm nur seine Hand und legte sie auf ihren Leib. Ihre Haut war warm, glatt und seidenweich. Und ihr Bauch ein ganz klein wenig gewölbt.
17. KAPITEL
N ew York
City –
Dienstag, 10:48 Uhr
Rachel befand sich im Auktionshaus Christie’s, um drei Gemälde zu ersteigern, an deren Erwerb ihr Onkel Alex interessiert war. Für das erste hatte sie bereits den Zuschlag erhalten, aber das zweite war ihr durch die Lappen gegangen. Da nun das dritte Kunstwerk unter den Hammer kam, zückte Rachel ihr Handy. So konnte ihr Onkel die Versteigerung mithören und ihr Anweisungen erteilen, falls er etwa beschloss, über die vor seiner Abreise festgesetzte Preisobergrenze hinauszugehen. Nach jahrelanger Erfahrung im Ersteigern von Schmucksteinen für ihre eigene Arbeit kannte Rachel sich mit dem Auktionsprozedere bestens aus und hatte ihren Spaß daran. An diesem Morgen traf das allerdings nicht zu.
Trotz Klimaanlage war es unangenehm warm in der Auktionshalle. Zwar nicht so heiß wie neulich in Rachels Hirngespinsten – so nannte sie ihre Fantasien inzwischen –, aber Rachel fühlte sich dennoch daran erinnert. Das Gedränge war es wohl, das die erhöhte Temperatur verursachte. Einhundertzwanzig Meisterwerke standen zur Versteigerung, weswegen Händler, Privatsammler und die Kuratoren der meisten renommierten Kunsthallen beziehungsweise deren Vertreter zugegen waren.
“Lot Nummer 45”, leierte der Auktionator.
Rachel starrte das auf einer Staffelei stehende Gemälde an. Eine Darstellung von Bacchus. Zwar nicht von Caravaggio signiert, doch angeblich gemalt von einem seiner Schüler, wobei der Meister selbst noch hie und da für die Feinheiten gesorgt hatte. Auch ohne Signatur war es atemberaubend.
Die Farben waren brillant, die Komposition klassisch, das Antlitz des jungen Gottes fein herausgearbeitet. Nur der Rahmen wirkte für Rachels Gefühl etwas überladen, vielleicht etwas zu wuchtig für das Werk. Doch der Rahmen war nebensächlich. Von dem Bild jedenfalls konnte sie sich nicht losreißen.
“Du hast recht”, raunte sie über Mobiltelefon ihrem Onkel zu. “Das musst du haben. Es ist wunderschön.”
“Selbstredend ist es das, aber das ist doch sicher nicht alles, hm? Du hast doch bestimmt etwas gefühlt, als du es sahst. Du hast eine Verbindung gespürt. Ich hab’s dir an der Stimme angehört. Was ist es?”
Für andere aus Alex Palmers Bekanntenkreis hätte sich sein Interesse für das “Gespür” seiner Nichte sicher befremdlich angehört. Oberflächlich gesehen mutete Alex’ ganzes Leben allerdings eigentlich wie ein einziges Klischee an: Sein Reichtum, sein kultivierter Lebensstil, seine Bildung, sein Geschäftssinn, seine Sammelleidenschaft und seine altruistische Art gehörten zusammen und ergaben das Bild eines Magnaten mit Hang zum Spirituellen.
Als Harvard-Stipendiat studierte er im selben Jahrgang wie Christopher Haslet, Sohn eines namhaften Großbankiers. Während des Studiums lernte der Vater den besten Freund seines Sohnes kennen, fand Gefallen an ihm und wurde sein Mentor.
Als Christopher ein Jahr nach dem Examen bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, wurde Alex zum Ersatzsohn für Ric, den trauernden Vater. Von diesem Zeitpunkt an entwickelte Ric eine Faszination für Wiedergeburt und glaubte felsenfest daran, er und Alex seien – begründet durch ihre jeweiligen Vorleben – regelrecht dazu ausersehen gewesen, einander zu diesem späteren Zeitpunkt zu begegnen.
Anfangs stand Alex der Sache skeptisch gegenüber. Bis zu dem Tag, an dem Ric ihm von einem Albtraum erzählte, der ihn mehrmals im Leben heimgesucht hatte.
In diesem Traum stieß er als Hauptmann im Amerikanischen Bürgerkrieg bei
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