Der Memory Code
Tode bestrafte. Dabei hätte Julius sich doch ohne Weiteres dem Imperator fügen und dadurch sein eigenes und Sabinas Leben retten können! Wie mochte das sein, wenn man einer Sache so ergeben war? Wenn man lieber solch ungeheure Opfer brachte, statt seinen Glauben zu verraten?
Vor sich sah Josh auch das Bild des jungen Pontifex, der mit aufgeschlitztem Bauch und ausgestochenen Augen im Rinnstein lag. Wie kam Julius nur auf den Gedanken, die neue Religion werde ihn und Sabina verschonen? Besonders einleuchtend war das alles nicht.
Die Kirchturmuhren schlugen drei weitere Stunden, und noch immer kam niemand, um Josh zu holen. Dem geisterten inzwischen ganz andere Fragen durch den Kopf. Was für ein Rechtssystem hatte man eigentlich hier in Italien? Galt auch hier die Unschuldsvermutung? Durfte man einen Verdächtigen festsetzen, nur weil der am Tatort gewesen war? Und wie verhielt es sich mit dem Motiv?
Wieder ließ er den Blick durch die muffige Zelle und über die vollgekritzelten Wände gleiten. Er fühlte die harte Lagerstatt, hörte Telefone schrillen und Mithäftlinge krakeelen. Er wusste schon jetzt, er würde kein Auge zutun. Wenn Tatti auch nur einigermaßen sorgfältig ermittelte, würde er bald herausfinden, dass Josh sehr wohl ein Motiv für den Grabraub hatte.
Am folgenden Morgen kam dann nicht etwa Malachai, um Josh aus der U-Haft zu holen, sondern Gabriella. Zu seiner Erleichterung hatte sie eine Segeltuchtasche dabei, darin Rasierzeug, Zahnpasta, Zahnbürste, Wäsche, frische Socken, ein weißes T-Shirt und Jeans – mit einem schönen Gruß von Malachai, wie sie bemerkte. So konnte er sich zumindest frisch machen. Vor ihren Augen händigte der diensthabende Beamte ihm die bei der Einlieferung beschlagnahmte Kamera aus, dazu das Pillendöschen, die Armbanduhr, eine Schachtel Streichhölzer und das mitgeführte Bargeld – alles, bis auf den Pass. Der blieb weiterhin in Verwahrung. In langsamem, einfachem Italienisch wurde Josh bedeutet, er dürfe Rom bis auf Weiteres nicht verlassen. Das verstand er zwar einigermaßen, den nachfolgenden Satz jedoch nicht, woraufhin er sich Hilfe suchend an seine Retterin wandte.
“Er sagt, Sie sind eventuell in Gefahr, weil Sie den Täter gesehen haben. Sie sollten besonders vorsichtig sein, zumal Sie sich in Rom nicht auskennen.” Sie zog eine Grimasse, als sei ihr selber die Warnung nicht ganz geheuer.
“Nichts wie raus hier”, knurrte Josh und kehrte dem Uniformierten den Rücken zu.
Steif und verspannt nach der Kriecherei in dem Stollen und nach achtzehn Stunden in einer Zelle folgte er der Archäologin hinaus in den Sonnenschein. Zu seinem Erstaunen schmeckte die Luft erstaunlich süß – bis er merkte, dass dies an Gabriellas Parfüm lag.
“Mein Wagen steht etwas weiter weg”, sagte sie. “Parken ist in Rom eine Katastrophe. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ein paar Schritte zu laufen, kann ich Sie zu Ihrem Hotel zurückfahren. Es sei denn, Sie bleiben lieber drinnen, und ich hole den Wagen erst her. Wenn das nämlich stimmt mit der Gefährdung …”
“Ach, was, ich komme mit. Am helllichten Tag wird mir schon nichts passieren. Sagen Sie mir lieber, wie es dem Professor geht.” Er hatte zwar viele Fragen auf dem Herzen, doch diese war die wichtigste.
“Die Operation hat er überstanden, aber der Blutverlust … Er bekommt weiterhin Transfusionen. Na ja, immerhin ist er stabil. In zwölf Stunden wissen wir mehr.”
“Ich wünschte, ich hätte das alles verhindern können. Aber ich war zu weit weg. Es tut mir so leid, Gabriella.”
Sie gab keine Antwort, und Josh hatte keinen Zweifel, dass sie ihm die Schuld gab. Ja, zum Teufel, er gab sich ja selbst die Schuld. Er fühlte sich schrecklich. Er hatte womöglich ein Menschenleben auf dem Gewissen, weil er nicht schnell genug eingegriffen hatte. Und durch sein Versagen hatte er auch Gabriella im Stich gelassen. Nein. Das ergab keinen Sinn. Er kannte die Archäologin ja überhaupt nicht.
Nur wurde er leider das Gefühl nicht los, dass die Geschichte sich wiederholte.
Auf dem Weg zum Auto guckte er mehrmals über die Schulter. Falls er tatsächlich beschattet wurde – würde er den Verfolger bemerken? “Die kriegen den Täter”, sagte er hoffnungsvoll, wenngleich kein Anlass zu diesem Optimismus bestand.
“Ach, meinen Sie?”, fragte sie mit einem sarkastischen Unterton. “Und ist er dann auch noch im Besitz des Diebesguts? Nie und nimmer. Die Steine sind längst verloren. Wahrscheinlich
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