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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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einem mondhellen Nachtmarsch auf einen jungen Soldaten, der verwundet und blutüberströmt am Straßenrand lag. Im Vorübermarschieren warf er einen Blick auf den leichenblassen Verwundeten, und dabei wurde ihm klar: Falls er nicht anhielt, falls er sich nicht um den Jungen kümmerte, würde der arme Kerl verbluten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und flehenden Augen blickte der Liegende zu ihm hoch, aber der Hauptmann ritt weiter. Der Soldat trug die Uniform des Feindes.
    Verblüfft berichtete Alex daraufhin seinem väterlichen Freund, schon in der Grundschule habe er sich brennend für den Bürgerkrieg interessiert. Zu seinem neunten Geburtstag hatten seine Eltern deshalb mit ihm einen Ausflug zu etlichen wichtigen Kriegsschauplätzen unternommen.
    Bei einem Spaziergang über das Schlachtfeld am Antietam Creek war er, von tiefer Trauer überwältigt, in Tränen ausgebrochen. Als sein Vater ihn fragte, was denn mit ihm sei, wusste Alex nicht, wie er ihm erklären sollte, was er in dem Moment empfunden hatte: dass man ihn hier habe liegen und sterben lassen.
    Das sei, so sagte er Ric, die einzige Rückerinnerung an ein vorheriges Leben, die er bisher erlebt habe – vorausgesetzt, man könne es überhaupt als Vorleben bezeichnen. Niemandem hatte er je zuvor davon erzählt.
    Das Erlebnis festigte ihre Beziehung zueinander und Alex’ Zukunft.
    Rachel kannte die Geschichte. Sie begriff, warum Ahnungen und Eingebungen ihn so faszinierten und warum das Thema Erinnerungssprünge ihn nicht losließ. Dass er nach ihren Gefühlen beim Anblick des Bacchus-Gemäldes fragte, war charakteristisch für ihn und zeigte nur, was in seinem Kopf vorging. Stets war er auf der Suche nach solchen Momenten; er sammelte sie wie die Gemälde, die an seinen Wänden hingen. Sie waren für ihn der Beweis, dass es so manches gab, das wir nicht verstehen, und zwar in einer Dimension, die nach seiner festen Überzeugung existierte.
    Solange Rachel zurückdenken konnte, war ihr Onkel Alex auf der Suche nach Beweisen für Seelenwanderungen gewesen. So hatte er beispielsweise dem Dalai Lama namhafte Summen gespendet, Geld in dubiose Forschungsprojekte gesteckt und einmal sogar versucht, eine in New York beheimatete Stiftung zu kaufen, die sich der Erforschung von Vorleben verschrieben hatte.
    Fragte Rachel ihren Onkel, woher denn sein Interesse rühre, bekam sie stets dieselbe Erklärung zu hören. “Wenn es Reinkarnation gibt, dann kann ich mir all das, was ich mir hart erarbeitet habe, selber vererben. Wozu sollte ich in einem zweiten Leben noch einmal ganz von vorn anfangen? Ich weiß, was Armut bedeutet. Arm will ich nie wieder sein.”
    Allerdings bezweifelte Rachel, dass das der eigentliche Grund war.
    Während die Gebote für den Bacchus nun Schlag auf Schlag stiegen und im Handumdrehen zweieinhalb Millionen Dollar erreichten, hielt sie sich zurück. Jetzt waren nur noch drei Bieter übrig: Douglas Martin, prominenter Sammler und Erbe eines Public-Relations-Imperiums, Nick Loomis, Kurator des J. Paul Getty Museums in Los Angeles und ein Freund von Onkel Alex, sowie ein weiterer Mann, der mit dem Rücken zu Rachel drei Reihen weiter vorn saß.
    Mit einem Male verspürte Rachel jenes merkwürdige Vibrieren – dieselbe körperliche Reaktion wie neulich nachts beim Lesen des Zeitungsartikels über die Ausgrabung. Sie musste sich regelrecht zusammenreißen, um sich auf den Verlauf der Versteigerung zu konzentrieren. Gerade jetzt durfte sie nicht den Anschluss verpassen, denn nun war der Moment gekommen, da auch sie einsteigen und mitbieten sollte.
    “Das Gebot steht bei zwei Komma fünf Millionen Dollar. Wer bietet mehr?”
    Rachel sah, wie der Unbekannte drei Reihen vor ihr seine Bieterkarte hob.
    “Ich sehe zwei Millionen siebenhundert…”
    Rachel reckte ihre Bieterkarte in die Höhe.
    “Drei Millionen …”
    Jetzt meldete sich auch Nick Loomis.
    “Drei Millionen zweihundertfünfzigtausend.”
    Schlagartig überlief Rachel ein gespanntes Kribbeln. Für die Steine, die sie sonst immer für ihre Schmuckdesigns ersteigerte, hatte sie nicht annähernd solche Summen geboten. Schließlich hielt sie das Höchstgebot bei drei Millionen siebenhundertfünfzigtausend Dollar.
    Mit angehaltenem Atem beobachtete Rachel den Interessenten drei Reihen vor ihr. Würde er sie überbieten?
    Er hob seine Bieterkarte.
    Das Handy ans Ohr gepresst, hörte Rachel die Stimme ihres Onkels. “Geh bis zur Schmerzgrenze. Ich will das Bild!”
    Mit hämmerndem Herzen

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