Der Memory Code
gegenüber.
Später am Abend dann ließ Julius sich von Sabina die Wunden reinigen und verbinden. Dies war gestattet; eine Vestalin durfte einen Mann mit Heilsalben behandeln. Nicht gestattet hingegen war das Geheimnis, das sie noch unter den Falten ihres Gewandes verborgen hielt. Inzwischen trug sie beständig eine Art Umhang, damit nicht auffiel, dass ihr Leib sich schon leicht zu wölben begann. Wie lange aber mochte das noch gut gehen?
Da sie sich eher unregelmäßig im Hain getroffen hatten, ließ sich in etwa nachvollziehen, dass Sabina inzwischen etwa zehn Wochen in Umständen war. Ihr Schicksal ließ Julius keine Ruhe. Er hatte ihr sein Wort gegeben und ihr gelobt, er werde sie und ihr ungeborenes Kind in Sicherheit bringen, und sollte er selber dabei umkommen. Als sie mit dem Verbinden fertig war, reichte Sabina ihm noch einen Kräutertrunk als Labsal gegen die Schmerzen.
“Vielleicht solltest du selber auch davon nehmen”, schlug er ihr vor, als er ihr den leeren Becher zurückgab. “Die Kräuter wirken in diesem frühen Stadium doch besonders gut, oder?”
Dabei hatten sich beide so vorgesehen! Wie alle Römerinnen verstand sich auch Sabina darauf, die fruchtbarsten Tage des Monats zu meiden, um einer Empfängnis vorzubeugen. Zudem führte sie nach jedem Zusammensein Waschungen durch und benutzte Tinkturen. Mitunter jedoch versagten auch solche Vorkehrungen. Dann gab es andere Mittel, sowohl für die Reichen, die eifersüchtig ihre Besitzungen hüteten und ihre Ländereien nicht mit zu zahlreichen Nachkömmlingen teilen wollten, als auch für die Armen, die oftmals schlicht nicht in der Lage waren, zu viele hungrige Mäuler zu stopfen, und schließlich auch für unglücklich verheiratete Ehefrauen, die nicht auf Kinder, sondern auf eine Scheidung aus waren. Entweder trank man ein Kräuterelixier, oder man wandte sich an eine kundige Matrone und ließ die Leibesfrucht abtreiben. Wenngleich Julius und Sabina zu einer Zeit lebten, in der ein Schwangerschaftsabbruch schon kein Makel mehr war, sondern ausdrücklich erlaubt und unter bestimmten Bedingungen sogar gewünscht, wollte Sabina nichts davon hören.
“Nein. Unser Kind muss zur Welt kommen, Julius. Durch es werden wir für immer zusammen sein.”
“Du irrst. Das Kind wird unser Verderben nur beschleunigen. Was, wenn wir die Priester und die anderen Vestalinnen nicht davon überzeugen können, dass die Gesetze nicht mehr der Zeit entsprechen? Ich weiß, wir haben über Veränderungen geredet – aber was, wenn die anderen noch nicht dafür bereit sind? Was, wenn ich dich nicht retten kann? Weißt du, was es heißt, langsam und qualvoll zu ersticken? Du darfst nicht sterben. Nicht eines Kindes wegen, welches noch gar nicht geboren ist.”
“Es gibt andere Gesetze, die etwas bedeuten. Die Gesetze der Natur.”
“Das Kind behalten zu wollen, kommt einer Selbsttötung gleich, Sabina.” Er flüsterte, damit bloß niemand mithören konnte.
Kopfschüttelnd legte sie ihm den Finger über die Lippen und gebot ihm, zu schweigen.
20. KAPITEL
R om, Italien – Mittwoch, 11:08 Uhr
Über eine breite Freitreppe gelangte Josh in die rechteckige, von monolithischen Granitsäulen gestützte tempelartige Vorhalle. Dort stemmte er sich gegen einen Flügel der mächtigen Bronzetür, die sich in den riesigen, überwölbten Rundbau öffnete. Sofort fiel sein Blick auf die kreisförmige Öffnung oben im Scheitelpunkt der Kuppelwölbung, durch die auf so vertraute Weise gleichmäßiges Tageslicht ins Innere fiel. So intensiv hatte er Julius’ Schmerz gefühlt, dass es ihm schier den Atem raubte. Erstaunlich, wie er körperlich darauf reagiert hatte, trotz der gewaltigen zeitlichen Kluft.
Das Licht änderte sich nun; Sonnenstrahlen ergossen sich durch die unverglaste Öffnung und warfen schillernde Muster auf den Fußboden sowie auf die mit Vulkangestein, Granit und gelblichem Marmor verkleideten Wände. Vögel schlüpften durch den Kuppeldurchlass in das Gebäude, fanden dann jedoch nicht wieder hinaus und flatterten aufgeregt umher, bis sie eine Luftströmung erwischten, auf der sie sich hinaustragen ließen.
An einer Wand fand Josh eine große Informationstafel, die obere Hälfte der Inschrift in Italienisch, die untere in Englisch. Darauf wurde in knapper Form die Geschichte des Bauwerks erklärt.
“Das Pantheon wurde zwischen 118 und 125 nach Christus vom römischen Kaiser Hadrian erbaut. Es geht zurück auf einen kleineren Tempel, der im Jahre 27 bis
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