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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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und ich hatte Athelny zu Mrs.   Black schicken wollen, um welchen zu holen.« Eine Pause trat ein, und dann etwas lauter: »Sally, lauf doch mal rasch zu Mrs.   Black hinunter und lass dir ein halbes Pfund Tee geben, ja?«
    »Gut, Mutter.«
    Mrs.   Black gehörte unten an der Straße eine halbe Meile entfernt ein Cottage. Sie war zugleich Postbotin und Gemischtwarenhändlerin. Sally trat aus der Hütte und rollte die Ärmel herunter.
    »Soll ich mitkommen, Sally?«, fragte Philip.
    »Machen Sie sich keine Mühe. Ich fürchte mich nicht alleine.«
    »So habe ich das nicht gemeint. Aber es ist fast Schlafenszeit, und ich glaube, es täte mir gut, mir noch ein bisschen die Beine zu vertreten.«
    Sally antwortete nicht; sie machten sich auf den Weg. Die Straße lag vor ihnen, weiß und ruhig. Kein Laut durchdrang die Sommernacht. Sie sprachen nicht viel.
    »Es ist noch immer ziemlich heiß«, sagte Philip.
    »Ich finde, es ist herrlich für die Jahreszeit.«
    Es war kein unangenehmes Schweigen. Es war einfach schön, so nebeneinander herzugehen, sie brauchten nicht viel Worte. Plötzlich hörten sie bei einem Durchgang in der Hecke leises Stimmengemurmel. In der Dunkelheit erkannten sie die Umrisse von zwei Menschen. Sie saßen da, eng aneinandergeschmiegt, und rührten sich nicht, als Sally und Philip vorüberkamen.
    »Wer das wohl gewesen sein mag?«, fragte Sally.
    »Sie machten den Eindruck, als wären sie recht glücklich.«
    »Vielleicht haben sie gedacht, dass wir auch ein Liebespaar sind.«
    Dann tauchte das Licht in der Hütte vor ihnen auf, und gleich darauf traten sie in den kleinen Laden. Das grelle Licht blendete sie einen Augenblick.
    »Sie kommen recht spät«, sagte Mrs.   Black. »Ich wollte gerade zumachen.« Sie schaute auf die Uhr: »Fast neun.«
    Sally verlangte ihr halbes Pfund Tee (Mrs.   Athelny brachte es einfach nicht fertig, mehr als ein halbes Pfund auf einmal zu kaufen), und dann traten sie auf die Straße zurück. Gelegentlich unterbrach der kurze, scharfe Laut eines Nachttieres die Stille – aber das machte die Stille danach nur noch eindrucksvoller.
    »Ich glaube, wenn man ganz still steht, kann man sogar das Meer hören«, sagte Sally.
    Sie spitzten die Ohren; ihre Einbildungskraft ließ sie das leise Geräusch der fernen Wellen hören, die gegen Kies am Meeresufer plätscherten. Als sie wieder am Zauntritt vorüberkamen, war das Liebespaar noch immer dort, aber jetzt sprachen sie nicht mehr, sie lagen einander in den Armen, und der Mann hatte seine Lippen fest auf die des Mädchens gepresst.
    »Sehr beschäftigt«, sagte Sally.
    Sie bogen um eine Ecke; ein warmer Wind schlug ihnen entgegen. Aus der Erde stieg eine eigene Frische auf. Es war etwas Seltsames in dieser zitternden Nacht, so, als würde irgendwo etwas – man wusste nicht was – warten; das große Schweigen ringsum gewann einen tiefen Sinn. Philip hatte eine sonderbare Empfindung im Herzen; es schien ihm plötzlich so voll, es schien zu schmelzen (die abgedroschenen Redensarten drückten seine seltsame Erregung recht treffend aus); er war glücklich, sehnsüchtig und voller Erwartung. Jessicas und Lorenzos Zeilen kamen ihm in den Sinn, als sie sich klingende Worte zuflüsterten, sich gegenseitig in ihren Bekundungen übertrumpfen wollten und doch die Leidenschaft hell und klar durch alle Geziertheit hindurchleuchtete. Er wusste nicht, was in der Luft lag, das seine Sinne so wach und empfindlich machte; er meinte, es wäre eine rein seelische Freude, mit der er die Düfte, die Laute, ja den Geschmack der Erde spürte. Noch nie hatte er die Schönheit so aufnehmen können. Er fürchtete, Sally könnte den Zauber brechen, indem sie redete, aber sie sprach kein Wort. Er wollte den Klang ihrer Stimme hören. Ihre leise Stimme, dunkel und reich, war wie die Stimme der ländlichen Nacht.
    Sie kamen zu dem Feld, das sie überqueren mussten, um zur Hütte zurückzugelangen. Philip hielt das Gatter für sie auf.
    »Also, ich sage Ihnen wohl am besten hier gute Nacht.«
    »Vielen Dank, dass Sie mich so weit begleitet haben«, sagte sie.
    Sie reichte ihm die Hand; während er sie hielt, sagte er: »Wenn Sie lieb wären, würden Sie mir jetzt einen Gutenachtkuss geben wie Ihre Geschwister.«
    »Ich habe nichts dagegen«, sagte sie.
    Philip hatte nur Spaß gemacht. Er wollte sie nur küssen, weil er so glücklich war, weil er sie gern mochte, weil es so eine wunderbare Nacht war.
    »Gute Nacht, also«, sagte er, lachte leise und zog

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